Straftaten Straftaten : Nächtliche Raubzüge

Jessen - Die Bezeichnung Fernsehstar findet Jürgen Gottwald überhaupt nicht lustig. Der Chef des gleichnamigen Ford-Autohauses in Jessen sieht sich die am 27. Oktober ausgestrahlte MDR-Fernsehsendung „Kripo live“ noch einmal im Internet an und ist selbst Wochen nach der Straftat von der Dreistigkeit und Professionalität der Diebe überrascht.
In der Nacht zum 19. September haben mehrere und bisher noch unbekannte Täter auf dem Autohaus-Gelände an der Rehainer Straße Räder von mehreren Fahrzeugen abmontiert und die Scheiben der Autos eingeschlagen, um an Wagenheber sowie Radsicherungen zu gelangen. Einen Tag zuvor haben die Diebe in der Gottwald-Filiale in Luckenwalde zugeschlagen und sind nach dem gleichen Schema vorgegangen.
Dem 49-Jährigen drängt sich deshalb der Verdacht auf, dass es sich um die Täter handelt, die 24 Stunden später in Jessen auf Beutezug gegangen sind. Im Juni und August hat es schon zwei Einbrüche in Luckenwalde gegeben. Der Gesamtschaden - als „Jahresbilanz“ gelesen - beläuft sich laut dem Unternehmer auf schätzungsweise 47000 Euro (20000 Jessen, 27000 Luckenwalde).
„Auf den Auftritt im Fernsehen hätte ich gern verzichtet“, betont Gottwald, der im gleichen Atemzug ein Zitat von Fußball-Trainer Jürgen Klopp (FC Liverpool) anfügt. „So etwas braucht man wie Zahnschmerzen.“
Vorzugsweise Alu-Felgen
Trotz der Einbruchserie versucht der Chef eines 47-köpfigen Betriebes mit zwei Filialen einen kühlen Kopf zu bewahren und zählt die Fakten auf. Die Täter hatten es hauptsächlich auf Alufelgen mit neuer Bereifung abgesehen. Diese Mischung lässt sich leicht verkaufen. Zur besseren Demontage haben sie die Fahrzeuge aufgebockt, Pflastersteine aus der Fläche am Betriebsgelände herausgehebelt und diese unter die Achsen gestellt.
Dass die Diebe ihr Handwerk verstehen und nicht unter Zeitdruck gestanden haben, beweist die Tatsache, dass die Radschrauben fein säuberlich aufgestellt gewesen sind. Außerdem haben die Täter geahnt, dass sich die Radsicherungen (spezielle Schrauben) in den Handschuhfächern der Autos befinden. Kurzum: Es sind keine heurigen Hasen gewesen.
In Zukunft ist es nicht mehr möglich, sich die Radsicherungen beim nächtlichen Beutezug unter den Nagel zu reißen. Gottwald hat diese inzwischen an einem gesicherten Ort deponiert. „Wir müssen jetzt vor jeder Probefahrt schauen, welche Schraube zu welchem Auto gehört“, erklärt der 49-Jährige, der seinen Kunden rät, diese künftig nicht mehr im Handschuhfach aufzubewahren. Ein routinierter Autofahrer findet für eine solche Kleinigkeit immer ein passendes Versteck.
Wer kommt für den Schaden auf? „Die Versicherung“, meint der Geschäftsführer, der aber davon ausgeht, dass die Kosten nicht zu 100 Prozent gedeckt werden.
Keine Entlassungen
Gottwald wird seine Filialen in Jessen und Luckenwalde nicht „zu Festungen ausbauen“. Er ist von den Einbrüchen ebenso betroffen wie seine Mitarbeiter, doch gegenüber den Tätern will er weder Angst noch Schwäche zeigen. Die Autos werden wieder picobello hergerichtet, den Kollegen entstehen trotz des materiellen Schadens keinerlei Nachteile. „Bevor ich einen Mitarbeiter entlasse, laufe ich mit dem Hund jeden Tag persönlich Streife“, sagt er und ergänzt, dass die Aussage durchaus zweideutig gemeint ist.
Das Personal bei der Polizei wird seit Jahren abgebaut. „Irgendwann rächen sich solche Maßnahmen.“ Der 49-Jährige möchte dies nicht als Pauschalkritik verstanden wissen. Die Polizeibeamten leisten gute Arbeit. Doch sind ihre Möglichkeiten aufgrund der ganzen Sparmaßnahmen dabei sehr beschränkt. Der Chef hofft, dass es in diesem Jahr keine Einbrüche mehr in seinen beiden Filialen gibt, und er nicht wieder vor eine Fernsehkamera muss.
„Diese Zeit möchte ich lieber in ein Kundengespräch investieren“, so Gottwald, der selbst nach längerem Überlegen nicht davon ausgeht, dass die Straftaten sich gegen ihn persönlich richten. Denn in Luckenwalde haben die Räderdiebe auch in anderen Autohäusern zugeschlagen.
Laut der Pressesprecherin des Polizeireviers Wittenberg, Cornelia Dieke, habe es bezüglich der Tat in Jessen einen Hinweis aus der Bevölkerung gegeben. Daraus hat sich „aber nichts ergeben“. An dem Fall arbeiten derzeit die Polizeibeamten des Revierkommissariats Jessen.
(mz)

