Derivatehandel Lange Dauer, wenig Fakten in Jessen, Annaburg und Elster
Zweckverband informiert Stadträte aller drei Mitgliedskommunen zum Stand der Aufklärung der umstrittenen Swap-Geschäfte.

Jessen - Bei 6,6 Millionen Euro liege zum jetzigen Zeitpunkt die Schadenshöhe, die der WAZV Elbe-Elster-Jessen (Wasser- und Abwasserzweckverband) aufgrund der Geschäfte mit umstrittenen Zinstauschgeschäften (Swap) zu tragen haben könnte. „Der Schaden steht im Raum, ist aber noch nicht angefallen.“
So formuliert es der vom WAZV beauftragte Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Andreas M. Lang. Der ist am Montag aus Frankfurt/Main angereist, um WAZV-Geschäftsführer Thomas Giffey und den Verbandsvertretern der drei Mitgliedskommunen zur Seite zu stehen, die komplizierte Materie der hoch riskanten Zinstauschgeschäfte des Verbandes zu erläutern. Stadträte aus Annaburg, Jessen und Zahna-Elster sind dazu in die Jessener Mehrzweckhalle eingeladen.
Noch ein Sammelvertrag
Gegenwärtig halte der Verband noch einen Portfolio-Swap. Dieses Derivatpapier fasse mehrere verschiedene Swap-Verträge zusammen. Es läuft bis zum Jahr 2050. „Diese Portfolio-Swaps sind unheimlich kompliziert zu berechnen“, erklärt Lang. Und der in Rede stehende Vertrag spiegele keine Darlehensverbindlichkeiten des WAZV wider, benennt der Anwalt einen wesentlichen Punkt des Anstoßes.
Aufgrund von Sachverständigengutachten seien zwei Klageverfahren eröffnet worden - gegen eine deutsche Großbank mit Filiale in Leipzig und gegen den Vorgänger Giffeys in der WAZV-Geschäftsführung. Mögliche Regressansprüche gegen ihn sieht der Anwalt jedoch durch die Geschäftsführerversicherung des Ex-WAZV-Chefs abgesichert.
Nachfragen mehrerer Stadträte nach konkreten Details wehrten der Anwalt und Giffey ab. Da der Swap-Vertrag momentan weitergeführt wird, sei ein konkreter Schaden nicht vorhersehbar. Elke Hiob (Freie Wähler), Vorsitzende des Finanzausschusses im Stadtrat von Zahna-Elster fragte, ob es angesichts dessen nicht besser wäre, den Verband neu zu gründen, ohne Altlasten. „Wenn ich bedenke, welche Umlagen da mal auf uns als Kommune zukommen, da möchte ich nicht mehr Stadtrat sein“, erklärte sie. Dazu wolle Giffey im letzten Tagesordnungspunkt sprechen, in dem es um den Bericht des Landesrechnungshofes gehen solle - nichtöffentlich.
Stimmen der Stadträte
Mehrfach gefragt wurde auch nach der Verantwortlichkeit weiterer Entscheidungsträger. Auch dies werde geprüft, so die Antwort aus dem Präsidium. „Ich bin hin und hergerissen“, meint einen Tag später Michael Thieme zur MZ. Der Fraktionsvorsitzende Wir.Für.Hier. in Jessen habe den Eindruck, dass Thomas Giffey eine gute Arbeit leiste, die Angelegenheit aufzuklären „und das Beste für die Bürger rauszuholen“.
Doch in seinen Augen habe die Landespolitik die Aufgabe mitzuhelfen, die Auswirkungen so gering wie möglich zu halten. „Die Sache ist ja von der Kommunalaufsicht auch geprüft worden.“ Thieme hegt die Hoffnung, dass eine gerichtliche Einigung mit der Bank erzielt werden kann, „mit der man das auf Null stellen kann“. Er befürworte dafür den Abschluss üblicher Kreditverträge mit normalen Marktzinsen. Die seien derzeit sehr gering.
Dirk Nowak (Fraktionsvorsitzender CDU/FDP in Jessen) bekannte befürchtet zu haben, dass der Schaden doch eher in Richtung der knapp 20 Millionen Euro gehe, die als negativer Marktzins dieser Geschäfte oft benannt wurden. Dennoch befürchte auch er, dass auf die Kommunen eine Sonderumlage zukommen könnte, wenn der Vertrag aufgelöst wird. Nowak warnt vor Panik. Aber auch er hofft, dass deutlich vor 2050 eine Lösung gefunden werde. „Wir haben es nicht verzapft. Es ist Anfang der 2000er Jahre durch die Landesregierung gefördert worden.“
Gabriele Wolf (Fraktionsvorsitzende BBP/BI Jessen) meint am Dienstag zur MZ: „Es war von uns lange angestrebt, Aufklärung über diesen Sumpf zu bekommen, der jetzt wohl in irgendeiner Form trockengelegt wird. Wie, das ließ der Abend jedoch offen.“ Sie stellt den Zusammenhang her zu der Situation, die zur Ablösung des früheren WAZV-Chefs führte. Als der damalige kaufmännische Leiter des WAZV die Alleinentscheidung seines damaligen Chefs zu Kauf und Ausbau eines technischen Betriebssitzes gegen alle Regeln öffentlich machte und wenig später von jenem „frei gestellt“ wurde, sei die Lawine ins Rollen gekommen.
„Man fühlt sich verantwortlich als Stadtrat, wird aber hingehalten.“ In vielen Punkten habe sie auch durch diese Informationsveranstaltung „die Bestätigung erhalten, ja, da haben wir damals vieles schon richtig vermutet“. Auch Gabriele Wolf fragt in Richtung der Prüfbehörden nach Mitverantwortlichkeiten. „Ich befürworte in viele Gesprächen immer wieder, dass es gut ist, wenn die Öffentlichkeit über die Vorgänge informiert wird. Auch bei diesen Swap-Geschäften gilt: Nicht wissen schützt nicht vor Strafe. Aber es hat sich auch keiner wirklich bemüht, dieses Wissen zu erlangen.“
Immer größere Verbände
Dass recht wenige der Stadträte aus allen drei Gemeinden die Einladung am Montag wahrnahmen, ist nicht nur für Gabriele Wolf, sondern auch für Elke Hiob aus Elster ein Anzeiger dafür, dass sich das Interesse an diesen Vorgängen eher in Grenzen hält. Aber: Die Aufklärung „läuft, wenn auch langsam“, meint die Elsteranerin am Dienstag.
„Allen betriebswirtschaftlichen Prüfern und auch dem Rechnungsprüfungsamt hätten die Geschäfte auffallen müssen“, sagt sie. Einen Grund, dass dies nicht geschah, sieht die erfahrene Kommunalpolitikerin auch beim Land. „Es gab doch den Druck, dass die Verbände immer größer und größer werden mussten.“ (mz)