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Jessens Bürgermeister Jessens Bürgermeister: Brettschneider macht Schluss

Von Frank Grommisch 30.12.2014, 18:59
Alfred Holz (links), Bürgermeister von Senden, und Hauptamtsleiter Klaus Gilleßen waren zur Verabschiedung von Dietmar Brettschneider (rechts) nach Jessen gekommen.
Alfred Holz (links), Bürgermeister von Senden, und Hauptamtsleiter Klaus Gilleßen waren zur Verabschiedung von Dietmar Brettschneider (rechts) nach Jessen gekommen. Frank Grommisch Lizenz

Jessen - In der Nacht zu Neujahr endet die Amtszeit von Jessens Bürgermeister Dietmar Brettschneider (CDU). Nach 24 Jahren und sieben Monaten scheidet er auf eigenen Wunsch aus dem Amt. Zum Jahreswechsel werde er sein Mobiltelefon abschalten. Mehr als 24 Jahre Bereitschaftsdienst für Jessen, wie er es nennt, seien dann vorüber.

Besondere Bewährungsproben

Womöglich wird er sich in jenem Augenblick auch an die großen Herausforderungen in seiner Zeit als erster Jessener Nachwende-Bürgermeister erinnern. Er erwähnt den Großbrand im Jessener Stadtwald und natürlich die extremen Hochwasser.

Ausdruck der erfolgreichen Entwicklung in Jessen ist nach Ansicht von Bürgermeister Dietmar Brettschneider in der jüngsten Zeit der Neubau von mehreren kommunalen Einrichtungen, so der Sport- und Mehrzweckhalle in Jessen-Nord, der Kindertagesstätten in Holzdorf und in Seyda. Jessen habe eine Einkaufslandschaft vorzuweisen, die sich sehen lassen könne. Zu den Meilensteinen der Stadtentwicklung in den Anfangsjahren zählt er den Neubau des Gymnasiums.

Die Anstrengungen waren immens, vor allem 2002 erreichten sie häufig die Leistungsgrenze der Beteiligten, als nach dem Elbe-Dammbruch bei Dautzschen (Nachbarkreis Nordsachsen) die Elbaue bis an den Stadtrand von Jessen unter Wasser stand. In solchen Situationen „braucht man ein hartes Kreuz“. Und er fügt an: „Es müssen Entscheidungen gefällt werden, die nicht einfach sind.“ Die dabei gesammelten Erfahrungen und die Ausbildungen in den Folgejahren haben sich ausgezahlt, denn auch 2006, 2010, 2011 und 2013 drohten von Flüssen große Gefahren. Ihnen wirkungsvoll zu begegnen, habe nicht selten kaum Zeit zum Überlegen gelassen. Brettschneider erinnert an den Schwarze-Elster-Deichbruch 2013 zwischen Schweinitz und Klossa. Innerhalb von zehn Minuten seien hier etwa die Entscheidung zum Bau des Notdamms auf der Straße zwischen Schweinitz und Annaburg getroffen worden. In solchen Situationen stehe ein Bürgermeister in großer Verantwortung. „Und die wird einem niemand abnehmen.“ Schon gar nicht das Land. Die Landesregierung habe doch gar nicht mitbekommen, welche Leistungen in den Kommunen in diesen Krisensituationen erbracht wurden, meint er. Wenn für einen Fluss die Hochwasser-Alarmstufe vier ausgerufen wurde, dann sei in Jessen bereits wie im Katastrophenfall gehandelt worden. „Das war viel Aufwand.“

Aus seiner Enttäuschung über die Landespolitik, auch wenn die CDU, der er angehört, den Kurs bestimmte, hat er nie einen Hehl gemacht. Und diese Enttäuschung hat wohl auch dazu beigetragen, dass er nicht erst planmäßig Mitte 2015 aus dem Amt scheiden wollte, sondern bereits Ende 2014. Welche Entscheidungsmöglichkeiten habe denn ein Bürgermeister noch, fragt er. Die Gemeinden, so spitzt er zu, seien offensichtlich der größte Feind der Landesregierung. Er nennt das seit diesem Jahr gültige Kommunalverfassungsgesetz und die mangelhafte Finanzausstattung der Kommunen durch das Land als für ihn gravierende Kritikpunkte. Auch sei es sein Anliegen gewesen, die Übergangszeit an der Spitze der Stadt so gering wie möglich zu halten. Bei seinem Abgang im Jahr 2015 hätte der Wahltermin womöglich im Februar oder im März gelegen. „Sollte ich da über vier Monate noch als Bremsklotz dazwischensitzen?“ Dass er sich einen anderen Nachfolger als Michael Jahn (SPD) gewünscht hatte, ist kein Geheimnis. Und diese Enttäuschung ist womöglich auch Ursache, dass er Zusagen vor Jahresschluss nicht einhielt. Er wollte den neuen Bürgermeister in der letzten Sitzung des Vorstands des Städtebundes „Elbe-Elsteraue“ 2014 in Jessen vorstellen. Geschehen ist das nicht. Und auch das traditionelle Treffen für die Alleinstehenden am Heiligabend fand ohne Angabe von Gründen nicht statt, obwohl er es als seinen letzten öffentlichen Auftritt als Jessener Bürgermeister Senioren und Vorruheständlern angekündigt hatte.

Große Hilfe aus Senden

Besonders dankbar ist Dietmar Brettschneider der Partnergemeinde Senden in Nordrhein-Westfalen. Bereits wenige Tage nach der deutschen Einheit wurde am 18. Oktober 1990 eine Urkunde über Freundschaft und Partnerschaft unterzeichnet. Diese Zusammenarbeit sei ein großes Glück gewesen. „So etwas konnte man sich nur wünschen.“ Vor allem seien die Jessener Verwaltungsmitarbeiter dankbar für die anfangs vom damaligen Gemeindedirektor Konrad Potts vermittelten Erfahrungen. Das sei immer auf Augenhöhe geschehen. Konrad Potts habe nie das Gefühl vermittelt, dass die aus dem Westen alles können, würdigt Brettschneider. Viele nützliche Erfahrungen seien weitergegeben worden. „Das ist das Schönste, was ich erlebt habe. Da bin ich heute noch dankbar und werde es auch immer sein.“ Diese großzügige Unterstützung hatte er auch in seiner offiziellen Verabschiedung Anfang Dezember im Jessener Schloss im Beisein von Potts anerkannt.

Nicht geschafft: Schwimmhalle

Kein Rezept hat Dietmar Brettschneider gefunden, um einen seiner großen Wünsche zu erfüllen. Eine Schwimmhalle hat Jessen in seiner Amtszeit nicht bekommen. „Wir brauchen eine Schwimmhalle, damit die Kinder ordentlich schwimmen lernen. Ich weiß aber auch, dass eine Halle richtig Geld kostet.“ Woher das kommen soll, hierfür und für viele andere dringende Projekte, ist unklar. Millionen werden nach seiner Ansicht in den folgenden Jahren benötigt, um Schulen und Kindereinrichtungen auf Vordermann zu bringen bzw. neu zu bauen, wie es etwa in Schweinitz vorgesehen ist. Und auf dem Markt in Schweinitz, der nach der Wende hergerichtet wurde, sind nun auch wieder Arbeiten erforderlich. Dass Schulden auf kommende Generationen geschoben werden, hält er für unerträglich. Im Interesse der Stadt werden „knüppelharte Entscheidungen zu treffen sein“, ist er überzeugt. Und es werde für Kommunalpolitiker nicht einfacher. Es könne doch nicht sein, dass Jahre nach Beschlüssen „allwissende Juristen erklären, wie wir hätten entscheiden müssen. Das ist doch eine furchtbare Entwicklung“. Dass sich Dietmar Brettschneider vehement für Jessen eingesetzt hat, ist unbestreitbar. Er hat in seiner Amtszeit häufig andere kritisiert, war aber dünnhäutig, wenn Missfallen zu seinen Entscheidungen und Forderungen geäußert wurde. Dass er dabei nicht gerade diplomatisch reagierte, haben ihm auch seine Weggefährten häufig gesagt. Fehler hat er nur selten eingeräumt, etwa, als er veranlasste, dass in Jessen selbst alle Sirenen abgebaut wurden. Bei folgenden Katastrophen, so gestand er ein, haben sie als wichtiges Signalmittel gefehlt. Verkalkuliert hatte er sich, als er der Förderschule für Lernbehinderte die Räume in Schweinitz kündigte. Seine spätere Beteuerung, es sei nicht so gemeint gewesen, konnte nicht verhindern, dass der Kreis als Schulträger den Umzug von Schweinitz nach Prettin beschloss. Wohl zu den peinlichsten Momenten in seiner Amtszeit gehörte, als er dem verstorbenen Stadtrat Roland Pleyer von der Bürgerinitiative seine Ehrerbietung versagte.

Ein Bürgermeister mit Ecken und Kanten geht. „Es war eine harte Zeit, aber der Erfolg zählt.“ Und es habe ihm viel Spaß bereitet, bis zum Schluss, sagt er.

Langeweile im Ruhestand wird sich bei ihm wohl nicht einstellen. Da ist die Familie, da ist der Garten, für den er vom Stadtrat einen rustikalen Tisch geschenkt bekam. Er mag das Jagen und Angeln, lese gern und hat Freude am Skatspielen. Auch wolle er im Interesse der Stadt in verschiedenen Gremien tätig bleiben. „Da wird es schon eng mit der Zeit.“ (mz)