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Flüchtlinge in Holzdorf-Ost Flüchtlinge in Holzdorf-Ost: Kinder als Brückenbauer

Von Ute Otto 11.11.2016, 09:02
Wohnpark in Holzdorf-Ost
Wohnpark in Holzdorf-Ost Archiv/Baumbach

Holzdorf - Die letzten reifen Tomaten an der Pflanze vor dem Küchenfenster im dritten Stock setzen einen kleinen Farbtupfer in das triste Grau der Fassade des Blockes in der Juri-Gagarin-Straße Holzdorf-Ost. „Die Familien hier kochen fast alle mit frischen Zutaten“, erzählt Daniela Wäsch, die als Sozialarbeiterin des Landkreises Wittenberg die in Holzdorf-Ost lebenden Flüchtlinge betreut. Es habe schon Überlegungen gegeben, einen Streifen entlang des Blocks als Beet anzulegen, das die Bewohner bewirtschaften können. Aber da niemand wisse, wie lange sie dort wohnen werden...

Sommer vorm Balkon

Etwas über ein Jahr ist es nun her, als der Flüchtlingsstrom auch den Landkreis Wittenberg erreicht hatte - jeweils ein Bus voll in den ersten Monaten - und zur Unterbringung ein Provisorium nach dem anderen, darunter auch die Holzdorfer Mehrzweckhalle, hergerichtet werden musste. „Damals hat sich alles überschlagen“, erinnert sich die Mitarbeiterin des Landkreises. „Wir konnten nur reagieren, kaum planen.“

Die Flüchtlinge, die ab Februar in die Blöcke einzogen, kamen direkt von der Zentralen Aufnahmestelle (ZAST Halberstadt). So gehörte es auch zu den ersten Aufgaben der Sozialarbeiter, sie mit Gepflogenheiten des nachbarschaftlichen Zusammenlebens vertraut zu machen - Mülltrennung und Ruhezeiten etwa, auch dass Balkone besser genutzt werden können als zur Zwischenlagerung von Abfällen. Tatsächlich rankten in diesem Sommer schon Blumen von einigen Balkonen. Vorbild war die Wohnung, in der die Sozialarbeiterin ihr Büro hat, deren Tür fast immer offensteht für die Bewohner mit ihren Anliegen - vom Antragsformular bis zum Pflaster, wenn sich eines der Kinder mal verletzt hat draußen beim Spielen.

Herrschte anfangs Argwohn bei manchem in der Nachbarschaft, habe man sich inzwischen aneinander gewöhnt. „Die Kinder spielen miteinander“, erzählt Daniela Wäsch. Sie sind in ihrer Unbefangenheit immer die Ersten, wenn es darum geht Barrieren zu überwinden. Die Größeren kennen sich aus der Schule. Sowohl in der Grundschule Schweinitz als auch in der Sekundarschule Annaburg gibt es für sie (noch) Sprachförderklassen. „Die Zusammenarbeit mit den Schulen ist prima“, so die Sozialarbeiterin. „Die Schulen sind auch sehr interessiert, mit den Eltern ins Gespräch zu kommen.“ Bei solchen Begegnungen fungieren die größeren Kinder zumeist als Dolmetscher, oft auch bei Behörden oder Ärzten, was die Kleinen inhaltlich überfordere.

Während die Kinder im schulpflichtigen Alter fast sofort nach ihrer Ankunft in die Schule gehen, dürfen die Erwachsenen erst dann einen Sprachkurs besuchen, wenn sie mindestens subsidiären Schutz genießen. Das trifft derzeit auf die Mehrheit der 116 in Holzdorf-Ost lebenden Flüchtlinge zu. Die Kurse finden in Wittenberg statt. Seit vergangenem Jahr fahren tagsüber die Busse im Stundentakt von Holzdorf-Ost. „Das kommt allen Einwohnern hier zugute.“

Vor allem besorgt um die Kinder

Einige wenige Flüchtlingskinder besuchen die Holzdorfer Kita. „Ideal wäre das für alle, schon der Sprache wegen“, sagt die Sozialarbeiterin. „Aber die Plätze in Holzdorf sind knapp.“ Die Mitarbeiterin des Landkreises hat die Erfahrung, dass die Familien sich sehr um ihre Kinder sorgen. Sie könne das gut verstehen. „Man muss sich vorstellen: Viele waren mit den Kindern monatelang in ewigen Fußmärschen auf der Balkanroute unterwegs. Da haben sie bei der Ankunft Ängste: Was passiert hier mit meinen Kindern?“

In den ersten Monaten hatten die Sozialarbeiter nicht nur in Holzdorf-Ost damit zu tun, für ihre Klienten die Fahrten nach Halberstadt zu den Anhörungsterminen im Asylverfahren organisieren. Die Landesaufnahmestelle sei ihnen zwar mit Sammelterminen entgegen gekommen, aber es musste auch sicher gestellt werden, dass die entsprechenden Dolmetscher vor Ort sind. Neben Arabisch (Syrer) sprechen die Flüchtlinge Persisch (z.B. Irak) sowie - insbesondere die Afghanen - Dari, Farsi, Pashtu. „Und alles sind eigene Sprachen.“ Daniela Wäsch verständigt sich mit den Bewohnern hauptsächlich auf Englisch.

„Solange sie im Asylverfahren sind, haben sie die kleineren Probleme“, sagt sie. Doch sobald ein Schutzstatus vorliege, „wären sie theoretisch bei uns raus. Aber praktisch ist das kaum machbar“. Und so hat sich die Arbeit der Sozialarbeiter gewandelt. Weniger geworden ist sie damit nicht. Die Flüchtlinge müssen sich bei Ausländerbehörde und Jobcenter melden, Sozialleistungen beantragen, sich um Krankenversicherung kümmern, eine Wohnung suchen. Eine Wohnung zu finden, sei vor allem für Familien schwer, zum einen weil es oft Großfamilien sind und zum anderen Vermieter an langfristigen Mietverträgen interessiert sind. „Wir forschen im Internet nach Mietangeboten“, so die Sozialarbeiterin. „Die meisten möchten in große Städte, weil sie eben aus Großstädten wie Homs oder Damaskus stammen.“ Es gebe aber auch einige, die die Vorzüge des Landlebens sehen.

Hohe Hürden auf dem Weg zum Job

Wenn eine Aufenthaltsgestattung länger als drei Monate ist, dürfen die Flüchtlinge mit Zustimmung der Ausländerbehörde arbeiten. „Ich könnte ihnen hier einige nennen, die lieber heute als morgen arbeiten gehen würden“, sagt die Frau vom Landkreis. Zwar werden auch Hilfskräfte gesucht, aber die Arbeitgeber sind skeptisch wegen der Sprachbarrieren. Zudem muss bei einer berufsfremden Beschäftigung die Ausländerbehörde die Zustimmung der Arbeitsagentur einholen. So soll Lohndumping vorgebeugt werden.

Es hat sich also eingespielt das Leben der Flüchtlinge in Holzdorf und mit ihnen. „Sie sind zufriedener geworden“, konstatiert Daniela Wäsch, weil mit der Anerkennung auch die Residenzpflicht im Kreis entfällt. So können sie ihre Angehörigen in anderen Teilen Deutschlands besuchen. „Dabei haben sie auch Vergleichsmöglichkeiten.“ Sie würden sehen, dass die Bedingungen anderswo auch nicht besser oder schlechter sind als hier. (mz)