Augustinuswerk Augustinuswerk: Gegen 40-Stunden-Woche für Behinderte
Seyda/MZ - Eine Lösung wurde zwar noch nicht gefunden. Aber es ist gegen Ende der jüngsten Zusammenkunft auf dem Seydaer Diest-Hof ein ganz anderer Ton in den Disput zwischen Matthias Monecke als Vorstand des Wittenberger Augustinuswerks und Eltern beziehungsweise Betreuern behinderter Menschen, die in der Zweigwerkstatt Jessen (WfbM) des ökumenischen Vereins tätig sind, eingezogen.
Dieser konstruktivere Ton im Umgang miteinander ist in nicht geringem Maße dem vermittelnden Einfluss des Landesbehindertenbeauftragten Adrian Maerevoet (siehe dazu auch „Schon neun Jahre im Amt“) zu danken, der den Weg nach Seyda in die dortige Einrichtung zur Lebensbegleitung für Menschen mit geistigen Behinderungen auf sich genommen hatte.
Nur zehn Unterschriften
Gegenstand des seit Wochen anwachsenden Unmuts bei Angehörigen und Betreuern der Behinderten, die in der WfbM arbeiten, ist das Anheben der wöchentlichen Beschäftigungszeit per 1.?April von vorher 35 auf jetzt 40 Stunden. Ein Schritt, mit dem die meisten Eltern und Betreuer aus der Jessener Region ihre Kinder beziehungsweise Schützlinge überfordert sehen (die MZ berichtete bereits) und sich folgerichtig weigern, die neuen Verträge zu unterschreiben. Was Matthias Monecke zu Beginn des Treffens auf dem Diest-Hof - von dem allein knapp 30 Bewohner die WfbM besuchen - mit dem Ausdruck größter Verwunderung bestätigte: 73 behinderte Beschäftigte habe die Jessener Zweigwerkstatt, „aber in nur zehn Fällen gibt es Unterschriften unter die geänderten Verträge“. In Wittenberg hingegen sei bereits ein gut 90-prozentiger Rücklauf zu verzeichnen.
An dem deutlich überwiegenden Nein zur 40-Stunden-Woche im Bereich Jessen dürfte sich nichts mehr ändern. Angehörige und Betreuer der Betroffenen - rund 30 waren anwesend - sagten dies dem Augustinuswerk-Vorstand ebenso klar, wie sie Kritik an der Einführung der 40-Stunden-Woche übten, ohne sie ausreichend und langfristig einbezogen zu haben. Ihnen gehe es, so hieß es mehrfach, einzig darum, eine Lösung zu finden für die Busbeförderung der behinderten Menschen zur und von der Werkstatt. Es könne nicht angehen, dass zehn Leute, die täglich eine Stunde länger arbeiten (wollen), die überwiegende Mehrheit der Belegschaft dazu zwingen, früh ebenfalls zeitiger aufzubrechen und - wenn auch nur auf den Bus wartend - genauso lange in der WfbM zu bleiben.
Die Schwächsten nicht verheizen
Das, so die Forderung der Eltern und Betreuer, müsse genau andersherum laufen: Für die 63 Frauen und Männer habe der Bus zu den Zeiten zu verkehren, wie sie bis Ende März galten, und für die zehn 40-Stunden-Beschäftigten müsse eine abweichende Beförderungsmöglichkeit gefunden werden. Eine Zusage von Matthias Monecke gab es diesbezüglich nicht, aber er zeigte sich bereit, denkbare Varianten durchzuspielen und bei der nächsten Zusammenkunft mit den Eltern und Betreuern am 25.?April (Freitag), erneut um 17?Uhr auf dem Seydaer Diest-Hof, vorzustellen.
Eine Mutter sagte unmissverständlich: „Die Behinderten sind schon nach sieben Stunden Werkstatt ausgepowert und in vielen Fällen lässt ihr Schädigungsbild gar nicht zu, dass sie noch mehr leisten.“ Sie habe jedoch den Eindruck, dass hinsichtlich der Schädigungsbilder der Behinderten beim Augustinuswerk keine ausreichenden Kenntnisse vorliegen. Die 40 Stunden seien in ihren Augen, reine Zahlenkosmetik. „Unsere Kinder können gar nicht mehr arbeiten.“ Monecke entgegnete, dass in Deutschland die WfbM zu 50 Prozent 40-Stunden-Betriebe seien. Und begründete die Notwendigkeit zu diesem Schritt damit, gerade die Jessener Niederlassung des Augustinuswerks mit etlichen Montagegruppen, in denen vorrangig Beschäftigte mit geringem Leistungspotenzial arbeiten, aus den anhaltend roten Zahlen führen zu müssen, um ihren Fortbestand sichern zu können.
Demgegenüber warnte Diest-Hof-Leiter Andreas Gebhardt, „die Schwächsten nicht zu verheizen“. Ganz in diesem Sinne hatte er die Gesprächsrunde von vornherein unter das Motto eines Bibelzitats aus dem Johannes-Evangelium gestellt: „Ich suche nicht meinen Willen, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat“ und aufgefordert, sich zu fragen: „Was würde Jesus dazu sagen?“
Offenheit angemahnt
Adrian Maerevoet konstatierte, dass für die Eltern und Betreuer eine unangenehme Drucksituation entstanden sei. Dennoch könne sie niemand zwingen, die neuen 40-Stunden-Verträge zu unterschreiben. Die 35-Stunden-Vereinbarungen behielten ihre Gültigkeit, es sei denn das Augustinuswerk schreite zu einseitigen Änderungskündigungen. Das jedoch schloss Matthias Monecke, an dessen christliches Gewissen die Runde rührte, von vornherein aus.
Wiederholt appellierte der Landesbehindertenbeauftragte an die Versammlung, vor allem aber an Matthias Monecke, mehr Offenheit miteinander zu praktizieren, aufeinander zuzugehen. „Lösungen lassen sich besser miteinander finden. Gegeneinander wird das nichts.“ Zudem bot er dem Augustinuswerk als Hilfestellung seine Beratung an, um eventuelle Reserven im Werkstatt-Betrieb aufzudecken und so die 40-Stunden-Woche überflüssig zu machen.