Augustinuswerk in Jessen Augustinuswerk in Jessen: Fünf Stunden länger in der Werkstatt
Jessen/MZ - Aufstockungen der Wochenarbeitszeit sind immer ein heißes Eisen. Erst recht, wenn es sich bei den Betroffenen um Menschen mit geistigen und anderen Behinderungen handelt. So hat denn die seit dem 1. April greifende Heraufsetzung der Anwesenheitsspanne in den Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) des Wittenberger Augustinuswerk e.V. - sie gilt auch für dessen Niederlassung im Jessener Gewerbepark - von vorher 35 auf jetzt 40 Wochenstunden für einige Verwunderung bei den Angehörigen bzw. Betreuern der dort Tätigen gesorgt. Auf alle Fälle aber sind etliche Fragen aufgetaucht zu dieser in der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt gebliebenen Veränderung.
Nach der Arbeit müde
So skizziert Petra Seydewitz aus Seyda die Konsequenzen für ihre geistig behinderte Tochter Julia (29 Jahre), die vollbeschäftigt in der Jessener Augustinuswerk-Werkstatt tätig ist, wie folgt: „Sie muss früher aufstehen und kommt später nach Hause. Das ist eine zusätzliche Belastung für die Behinderten und ihre Angehörigen.“ Und so etwas in Zeiten, wo ihres Wissens nach in anderen Bereichen wie dem öffentlichen Dienst noch Vorruhestandsregelungen griffen und verkürzte Arbeitszeiten keine Seltenheit seien. „Julia war schon bei der 35-Stunden-Woche ziemlich müde nach der Arbeit. Bei den 40 Stunden jetzt hat sie keine Lust mehr auf irgendwelche Angebote zur Freizeitgestaltung wie eine Behinderten-Disco am Abend oder Ähnliches. Da wird schon mal was auf die Beine gestellt für Behinderte, dann sind sie aber so fertig, dass sie diese Möglichkeiten gar nicht mehr nutzen können oder wollen.“
Um die Hintergründe für die bei Angehörigen und Betreuern von Menschen mit Behinderung offensichtlich unpopuläre Ausweitung der „Wochenarbeitszeit“ - die sich aber durchaus im gesetzlich vorgegebenen Rahmen bewegt - zu beleuchten, hat sich die MZ an Matthias Monecke, Vorstand des Augustinuswerk e.V., gewandt.
Er stellt seiner schriftlichen Antwort erklärend voran: „Wir haben in den Werkstätten des Augustinuswerks nicht die Arbeitszeit, sondern die Beschäftigungszeit von 35 auf 40 Stunden pro Woche angehoben.“ Den Unterschied macht er daran fest, dass die Stundenzahl im Augustinuswerk neben der Arbeitszeit auch Erholungspausen (mindestens anderthalb Stunden pro Tag) und weiterbildende Maßnahmen bzw. freizeitähnliche Angebote, vorrangig an den Nachmittagen, umfasst. Unterstützende Therapien könnten ebenfalls während der Beschäftigungszeit von externen Anbietern durchgeführt werden. „So stellen wir sicher, dass notwendige Therapien und Freizeitaktivitäten für unsere Beschäftigten nicht zu kurz kommen und ihre Beschäftigung in der WfbM Lebensqualität bietet.“
Der Beweggrund fürs Ausdehnen der Beschäftigungszeit bestehe laut Monecke nicht im Erzielen eines ökonomischen Zugewinns, sondern in der Stabilisierung der Werkstatt und der beruflichen Rehabilitation. Man müsse sich stärken für die bevorstehende Weiterentwicklung bei der Eingliederungshilfe und den Anforderungen des Bundesleistungsgesetzes. „Es geht bei der Veränderung der Beschäftigungszeit nicht um Gewinnoptimierung, sondern um die Einhaltung der Werkstattverordnung.“ Eine Werkstatt habe demnach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu folgen und wirtschaftliche Arbeitsergebnisse anzustreben, auch um den Beschäftigten ein angemessenes Entgelt laut Sozialgesetzbuch zahlen zu können. „Eine Alternative zur Erhöhung der Beschäftigtenzeit wäre die Kürzung des Grundbetrages gewesen. Der beträgt zurzeit 75 Euro pro Monat.“ Eine solche Kürzung treffe aber die Beschäftigten und den Landkreis, der „die Kosten übernehmen müsste, die ansonsten durch die Anrechnung getragen werden“.
Eine weitere Alternative sei, so der Vorstand des Augustinuswerks, „die Verlagerung der Montagegruppen, in denen vorrangig Beschäftigte mit geringem Leistungspotenzial arbeiten, aus Jessen nach Wittenberg, um Platz für hochwertige Aufträge zu schaffen“. Für Monecke steht außer Frage, „dass wir die sozial verträglichste Alternative gewählt haben“.
Testphase eingeräumt
Das Augustinuswerk betreibt fünf Werkstätten. Von der Änderung zum Werkstattvertrag sind laut Vorstand 412 Menschen mit Beeinträchtigung betroffen. Das sind all jene (von insgesamt 422), die keine Genehmigung für Teilzeitarbeit haben. Für die Betreuungszeit-Verlängerung hat das Augustinuswerk auf Anregung von Angehörigen und Betreuern behinderter Menschen eine Testphase von einem halben Jahr (bis 31. Oktober) eingeräumt. Danach werde endgültig entschieden, „ob die Erhöhung der Betreuungszeit zielführend ist“.