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Annaburger Heide Annaburger Heide: Wölfe schnüren durch Heide

Von Sven Gückel 19.11.2013, 20:16
Klaus-Peter Hurtig (links) und René Bruschke kontrollieren eine Fotofalle, mit deren Hilfe Aktivitäten der Vierbeiner nachgewiesen werden.
Klaus-Peter Hurtig (links) und René Bruschke kontrollieren eine Fotofalle, mit deren Hilfe Aktivitäten der Vierbeiner nachgewiesen werden. Gückel/Peters Lizenz

Annaburg/MZ - Es sei nur eine Frage der Zeit, bis in der Annaburger Heide lebende Wölfe ihren Rückzugsraum verlassen. Davon ist Klaus-Peter Hurtig, Funktionsbereichsleiter Naturschutz im Bundesforstbetrieb Mittelelbe, fest überzeugt. Allein die Zahlen sprechen dafür. Nachweislich zwei Alttiere und ihre sechs Jungen sowie ein erwachsener Einzelgänger leben gegenwärtig in der Annaburger Heide. Futter finden die Wölfe hier in ausreichender Menge. Die Frage ist nur, wie lange das Wild den Bedarf des Rudels deckt.

Drei Kilogramm täglich

Rein rechnerisch benötigen die neun ein Areal von 25 000 Hektar. Die Heide ist aber nur halb so groß. Sollte sich darüber hinaus in den kommenden ein, zwei Jahren weiterer Nachwuchs einstellen, wird es eng. Sowohl was den nötigen Freiraum angeht als auch das Futterangebot. Etwa drei Kilogramm Fleisch benötigt ein erwachsener Wolf als Tagesration. Da Wölfe Aas verschmähen, schlagen sie ihre Beute immer wieder neu. Gewerbliche Tierhalter, so Hurtig, sollten sich daher Gedanken darüber machen, wie sie sich der kommenden Situation stellen. Denn Übergriffe auf Nutztiere sind zwangsläufig vorprogrammiert.

Wenn Nutztiere vom Wolf gerissen wurden, sollten sich die Halter so schnell wie möglich bei den zuständigen Naturschutzbehörden melden. Zuständig im Land Sachsen-Anhalt ist dafür Andreas Berbig (039321/5 18 32). Bei einer Jagd kürzlich in der Glücksburger Heide sollen drei Wölfe gesehen worden sein. Nach Auskunft von Dietmar Brettschneider, Vorsitzender der Jägerschaft Altkreis Jessen, hätten sie Jagdhunde angegriffen. Ein Tier wird seitdem vermisst.  (SGÜ/GRO)

Erkenntnisse, dass es in der Annaburger Heide Wölfe gibt, liegen seit 2008 vor. Damals wurden Spuren eines Einzelgängers gesichtet, der sich wenig später auch einem Jäger zeigte. Doch von Dauer war dieser Kontakt nicht. Erst zwei Jahre später stießen Weidmänner erneut auf frische Spuren von, wie die Jäger sagen, schnürenden Wölfen. Gleichzeitig gelangen Filmaufnahmen, die eine eindeutige Identifikation erlaubten. Zu diesem Zeitpunkt lief das Wolfsmonitoring schon auf vollen Touren. Jeder gefundene Spurenabdruck, jede Losung wurde durch die zuständigen Wolfsbetreuer im Bundesforstbetrieb, Eva Mann und Jan Claußnitzer, dokumentiert. Die Daten übermittelten sie zur weiteren Auswertung an ein Institut in Görlitz. Ein wirklicher Coup gelang aber erst 2012. Eine Fotokamera hielt erstmalig ein Pärchen im Bild fest. Schon damals rechneten die Wolfsbetreuer mit Nachwuchs. Eine Bestätigung ihrer These lieferte das Bild einer Wölfin, deren Gesäuge deutlich angeschwollen war. Ein klares Indiz dafür, dass sie Junge hatte. Den endgültigen Beweis erbrachten im September Aufnahmen des Rudels (die MZ berichtete). Auch wenn die Rückkehr des Wolfes längst keine neue Meldung mehr darstellt, die Reaktionen darauf fallen teilweise heftig aus. Vor allem Jäger fordern vereinzelt, den Wolf unter das Jagdrecht zu stellen. Da er aber zu den bedrohten Tierarten gehört, verbietet die Europäische Union den Abschuss der Vierbeiner. Eine Ausnahme bilden nur so genannte Problemwölfe, allerdings erst dann, wenn ein aufwendiges Verfahren diesen „schlechten Charakter“ bestätigt. Was die Jäger vor allem stört, ist der markante Verhaltenswechsel bei Rotwild, Schwarzwild und Rehen. Sie alle werden merklich scheuer und formieren sich zu größeren Gruppen.

Andere Aufenthaltsgebiete

Dass der Wolf seine Beute beständig vor sich hertreibt, hat zudem Einfluss auf den Aufenthaltsort des Wildes. Angesetzte Drück- oder Treibjagden können so schon mal in Revieren stattfinden, aus denen sich das Wild wegen des Wolfes kurzzeitig zurückgezogen hat, und Jäger leer ausgehen lassen. Gleichzeitig drängen Hirsch und Reh in Gebiete vor, die sie bislang mieden. Verbiss an jungen Bäumen ist die ungewollte Folge. Dass der Wolf die Annaburger Heide sucht und mag, kann man ihm nicht verdenken. Ein ausreichendes Futterangebot, offene Räume, fehlender Verkehr und so gut wie keine Infrastruktur lassen das Terrain für ihn zum idealen Raum werden. Die Elbe stellt in der weiteren Ausbreitung nach Westen nur ein geringes Hindernis dar.

„Wir werden ihn im Auge behalten, sollten aber auch lernen, mit ihm zu leben“, betont der Funktionsbereichsleiter Naturschutz, Klaus-Peter Hurtig. Eine Gefahr für den Menschen, so der Experte, gehe vom Wolf aber derzeit nicht aus. Diese Behauptungen gehören für ihn ins Reich der Fantasie. Auch für den Übungsbetrieb der Bundeswehr und die forstliche Bewirtschaftung der Heide stelle der Wolf kein Problem dar.