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Viel Arbeit bei schlechter Bezahlung Viel Arbeit bei schlechter Bezahlung: Jede fünfte Hebamme denkt ans Aufhören

Von Fabian Wagener 22.11.2018, 09:41

Hettstedt/Erdeborn - Nein, wie viele Frauen sie in all den Jahren betreut hat, das kann Gabriele Müller nicht sagen.

Dafür ist die Zahl einfach zu hoch. „Es waren aber sicher mehrere Tausend“, schätzt sie. Die 65-jährige Müller sitzt im Esszimmer ihres Hauses in der Randsiedlung in Hettstedt, auf dem Boden schlummert Labrador Vicco, am Fenster segeln die ersten Schneeflöckchen vorbei.

Müller ist ausgebildete Hebamme und seit zwei Jahren in Rente. 43 Jahre hat sie in dem Beruf gearbeitet, bereut hat sie ihre Wahl nie. „Die Dankbarkeit, die man von den Müttern bekommt, gibt ein gutes Gefühl“, sagt sie.

Schlechte Arbeitsbedingungen und geringe Bezahlung

Gleichwohl ist Müller nicht überrascht über das, was eine unlängst veröffentlichte Studie offenbart hat: dass nicht wenige Hebammen unzufrieden sind mit den Arbeitsbedingungen und der Bezahlung.

Und dass manche sogar mit dem Gedanken spielen, ihren Beruf vorzeitig an den Nagel zu hängen. „Man verdient zu wenig bei zu viel Arbeit“, sagt Müller.

891 Geburten gab es laut Studie 2017 in Mansfeld-Südharz, ein Rückgang um 8,8 Prozent seit 2017 und damit der stärkste in Sachsen-Anhalt.

Zum Vergleich: Im Saalekreis gingen die Geburten um 1,1 Prozent zurück. Im Jerichower Land stiegen sie um 8,3, in Magdeburg sogar um 24,6.

Sie selbst habe ihren Job etwas früher aufgegeben als ursprünglich geplant. „Bei den Beiträgen etwa zur Versicherung, die ich als selbstständige Hebamme hatte, hätte es sich nicht wirklich gelohnt, weiterzumachen.“

Die Studie des IGES-Instituts, die im Auftrag des Sozialministeriums erstellt wurde, spricht davon, dass etwa jede fünfte Hebamme in Sachsen-Anhalt daran denkt, ihren Beruf aufzugeben.

Große Unterschiede zwischen angestellten und freiberuflich tätigen Hebammen gibt es dabei nicht. Es sei davon auszugehen, dass ein Teil der derzeit 431 Hebammen „vorzeitig den Beruf aufgeben wird“, bilanzieren die Studienmacher, die sich in ihrer Arbeit unter anderem auf Daten von Krankenkassen und Gesundheitsämtern sowie Befragungen von Hebammen stützten.

Auch die Hebamme Anja Rothe aus Erdeborn überraschen die Befunde nicht. Die äußeren Umstände dieses so tollen Berufes seien „eine Katastrophe“, sagt die 44-Jährige.

Weniger Betreuung für Mütter

Rothe arbeitet freiberuflich, sie begleitet Frauen während der Schwangerschaft, bietet Kurse an, unterstützt nach der Entbindung. Geburtshilfe macht sie nicht mehr, die Beiträge für Haftpflichtversicherung wären dann zu hoch, sagt sie.

„Außerdem würde ich die Geburten gar nicht mehr schaffen, weil ich so viele Frauen zu betreuen habe.“ Rothe liebt ihren Beruf, das wird rasch klar, wenn man ihr zuhört. Sie spricht von „Berufung“, von „Herzenssache“.

Geburtsrate in Mansfeld-Südharz rückläufig

Wie die IGES-Studie aufzeigt, waren 2017 in Mansfeld-Südharz 16 freiberufliche Hebammen gemeldet. Im Jahr zuvor waren es noch 20.

Zwar ist die Zahl der Geburten im Landkreis seit 2007 mit minus 8,8 Prozent so stark zurückgegangen wie nirgendwo sonst im Land, gleichwohl liegt die Zahl der Geburten, die eine freiberufliche Hebamme durchschnittlich betreut, mit 56 über dem Landesschnitt von 45.

Auch die Zahl der Frauen „im gebärfähigen Alter“ je Hebamme liegt mit 1.366 deutlich drüber (Landesschnitt: 995).

Für Gabriele Müller spielen diese Statistiken keine wirkliche Rolle mehr. Nach all den Jahren als Hebamme habe sie sich auf die Rente gefreut, sagt sie. Und doch blickt sie sehr positiv auf ihr Berufsleben zurück. „Es hat Spaß gemacht“, sagt sie.

(mz)