Gerbstedter Hobbybastler Gerbstedter Hobbybastler: Warum ein Eisenbahnmodell an die Familiengeschichte erinnert

Gerbstedt - Damit hat Günther Beinert nicht gerechnet: Als der Gerbstedter Hobbybastler seiner Frau sein jüngstes Eisenbahnmodell zeigt, fängt sie an zu weinen. Ihr unerwarteter emotionaler Ausbruch hängt mit einer Figur zusammen, die der 83-jährige gelernte Maurer auf den Lok-Kessel drapiert hat. Dort sitzt ein Mann in Eisenbahn-Uniform. Und diese Szene hat Beinerts Frau an jene schicksalhaften Tage im Winter 1945 erinnert, als sie mit ihrer Familie aus Schlesien geflüchtet ist.
Ihr Vater war damals Lokführer im Kriegsdienst. Er fuhr auf der Strecke der Liegnitz-Rawitscher Eisenbahn, die sich im Besitz der Bahngesellschaft Lenz und Co befand. Das Unternehmen mit Sitz in Berlin betrieb auch die private Halle-Hettstedter Eisenbahn, die bis 1960 rollte, und das sollte auch das Leben von Beinert verändern.
Fuhrpark aus Schlesien wird zum Bahnhof nach Gerbstedt geschafft
Seine Frau stammt aus dem Ort Bienau bei Liegnitz. Als die Rote Armee immer näher rückte, orderte die Firmenspitze an, den gesamten Fuhrpark aus Schlesien zum Bahnhof nach Gerbstedt zu schaffen.
Doch der Vater von Beinerts Frau wollte seine Familie nicht zurücklassen. Sie fand aber keinen Platz mehr in den Waggons, die dicht umringt von Leuten waren, die alle weg wollten. Also holte er sie kurzerhand in den Lokstand - und so entkam die Familie den Kämpfen um Schlesien. Im Erzgebirge mussten Frau und Kind raus. Die Eisenbahn rollte bis Gerbstedt weiter. „Doch im Erzgebirge war der Hunger groß“, erzählt Beinert.
So entschied sich der Lokführer aus Schlesien, Frau und Tochter ins Mansfelder Land zu holen. Dadurch lernte der Gerbstedter Beinert seine spätere Frau kennen. Aus diesem Grund haben beide die Eisenbahner-Figur auf der Lok kurzerhand „Willi“ getauft - in Erinnerung an Beinerts Schwiegervater, der damals noch ein altes Fahrrad aus Schlesien mitgebracht hatte.
Als der Hobbybastler jetzt diese Geschichte einem früheren Kollegen zum Besten gab, überraschte der ihn mit einem unverhofften Geständnis. „Dieses Fahrrad habe ich als Junge kaputtgefahren“, räumte der Bekannte ein. „Schon erstaunlich, welche Wege das Leben manchmal geht“, sinniert Beinert. Er hatte sich als junger Mann auch nicht ausmalen können, dass er eines Tages ein regelrechtes Eisenbahn-Museum am alten Gerbstedter Bahnhof schaffen würde.
Aus Beton und Metall hat er inzwischen 24 Modelle im Maßstab 1:10 in seiner Werkstatt, dem früheren Wiegehaus des Bahnhofes, hergestellt. „Und das alles nur mit meiner Hände Arbeit“, sagt der rüstige Rentner nicht ohne einen gewissen Stolz.
Seine Modellbauten dürften in ganz Deutschland einmalig sein. Gerade hat er den Nachbau einer Kohlenstaublokomotive Baureihe 44 Lok 5272-4 aus dem Jahre 1953 vollendet. Zwei Monate hat er dafür gebraucht. Das Modell wiegt eine Tonne. Nach Beinerts Angaben steht nur noch ein Exemplar davon im Lokmuseum in Halle. Jetzt will er noch eine Stromlinienlok aus den 1930er Jahren nachbauen. „Dann ist Schluss mit den Loks auf dem Gelände“, sagte er.
Fantasieburg ist 1949 der Anfang von Beinerts Modellbauten
Angefangen hat alles mit einer Fantasieburg, die er im Jahre 1949 aus Zement, Asche und Sand hergestellt hat. Damit wollte er auf dem elterlichen Grundstück eine sieben Meter hohe Mauer, die zum nebenanliegenden früheren Gefängnis in der Altstadt gehörte, verschönern. „Es war damals schwierig genug, das Material zu beschaffen“, so Beinert. Später fand er ein Zigaretten-Album und nahm die Abbildungen daraus als Vorlage.
Er macht alles ohne Zeichnungen, nur mit dem Zollstock. Nach 1990 kam er auch an Unterlagen von Burgen heran, die in Westdeutschland standen. Sie hatte er schon zu DDR-Zeiten gebaut und zwar mit der schwarz-rot-goldenen Fahne auf den Türmen. Das brachte ihm Ärger mit den Oberen ein, doch er konnte sich immer geschickt mit historischen Begründungen aus der Affäre ziehen. Im Lauf der Zeit hat Beinert eine wahre „Spur des Betons“ in der Region hinterlassen. Fast in jedem Ort findet sich ein Bauwerk von ihm. Mehr als 40 Burgen-Modelle zieren allein das Stadtbild von Gerbstedt.
Vor zehn Jahren begann er historische Eisenbahnen nachzubauen. Darunter den „Adler“ - die erste deutsche Eisenbahn von 1835. Sie alle stehen am Bahnhof, wo sein Schwiegervater lange gearbeitet hat. Ihm setzte er nun ein Denkmal. Trotz der Mühen bereitet ihm sein Hobby viel Freude. Und es hat ihm geholfen, manchen Schicksalsschlag zu überwinden. So wie in diesem Jahr, als er einen Schlaganfall erlitt. „Die Arbeit ist die beste Medizin für mich, meint jedenfalls mein Arzt“, sagt Günther Beinert und lacht dabei aus vollem Herzen. (mz)

