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Unter Wasser - fast so wie schwerelos

Von BEATE THOMASHAUSEN 07.04.2010, 17:12

HALLE/SANGERHAUSEN/MZ. - Sebastian Sens ist 30 Jahre alt, Reiseverkehrskaufmann, Arbeit suchend und lernt tauchen. Das ist nichts Ungewöhnliches? Doch ist es. Sebastian Sens ist seit einem schweren Verkehrsunfall vor 14 Jahren gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Der junge Hallenser, der aus Rammelburg stammt, war begeisterter Radsportler und mit seinen Vereinskameraden zu einer Trainingsfahrt unterwegs, als damals der Unfall geschah, bei dem einer seiner Vereinskameraden getötet wurde.

"Ich bin froh, dass sich mein Sohn jetzt ein Herz gefasst hat, und einen neuen Sport für sich entdecken möchte", sagt Jörg Sens, der aufmerksam das Training seines Sohnes verfolgt. Jörg Sens ist selbst begeisterter Schnorchler und liebt es, im Urlaub die Unterwasserwelt zu erkunden. Eine schöne Erfahrung, die er auch seinem Sohn wünscht. Doch der war nicht so leicht für den Unterwassersport zu begeistern, wie es sich der Vater gewünscht hatte. Doch nun stehen Vater und Sohn gemeinsam am Beckenrand in Sangerhausen.

Zum vierten Mal taucht Sebastian Sens diesmal in der Schwimmhalle in Sangerhausen ab. Heiko Günzel ist sein Tauchlehrer. Unterstützt wird er von Jürgen Reitter, der seit einem Jahr Tauchlehrer ist. Beide gehören dem Tauch- und Unterwasser Rugbyclub Sangerhausen an. Günzel und Reitter erläutern Tauchschüler Sens genau, worauf es ankommt. Immer wieder wird geübt, wie die Taucherbrille mit dem Sauerstoff ausgeblasen werden muss. "Jeder Handgriff muss sitzen", sagt Günzel. "In einer Hauruckaktion bekommt man bei mir keinen Tauchschein."

Günzel selbst bringt einige Erfahrung mit. 1996 tauchte er selbst zum ersten Mal ab. Im Schwimmbad in Eisleben erlernte er damals das Tauchen im Verein. Jetzt ist er selbst Instructor-Trainer, das heißt er darf Trainer ausbilden. Er ist auch Höhlentaucher und Behindertentauchlehrer sowie Fit2dive-Coach, das heißt, unter seiner Anleitung können Taucher testen, wie fit sie eigentlich tatsächlich sind. Das hört sich sehr professionell an, ist dennoch Günzels Hobby. Der 35-Jährige ist Polizeibeamter und Hundeführer.

Unter Wasser ist alles anders. Da merkt niemand, der nur flüchtig hinsieht, dass der Tauchschüler ein Handicap hat. Alleine die Handflossen, die Sebastian Sens hat, unterscheidet seine Tauchausrüstung von anderen. "Er liegt besser im Wasser, als mancher nichtbehinderte Tauchschüler", lobt Lehrer Günzel seinen neuen Schützling. Und Sebastian selbst gerät inzwischen schon etwas ins Schwärmen und sagt: "Unter Wasser bin ich wie schwerelos. Ich bekomme ganz andere Signale von meinem Körper als an Land." Nicht einmal die 15 Kilogramm schwere Tauchausrüstung wird dem schlanken, jungen Mann unter Wasser zu schwer.

Günzel bedauert, dass das Tauchen von der Krankenkasse nicht als eine Therapie anerkannt wird. Dabei erlebe er es immer wieder, dass der Tauchsport auf behinderte Menschen eine therapeutische Wirkung habe. "Es müsste sich halt einfach mal jemand finden, der dazu eine Studie macht." Denn natürlich sei die Anschaffung einer Tauchausrüstung nicht ganz billig und auch die Tauchstunden wollen ja bezahlt sein.

Da wäre es schön, wenn behinderte Tauchschüler einen Zuschuss von der Krankenkasse erhalten würden. "Das Training dient ja auch meiner Fitness. Und je besser und je länger ich alleine klar komme und keine Hilfe benötige, umso günstiger ist das eigentlich auch für die Krankenkasse", findet Sens, der ganz realistisch einschätzt, dass gerade er im Alter auf einen guten Fitnesszustand angewiesen sein wird.

Von anderer Seite, und ganz ohne Studie, erfahren Heiko Günzel und sein Schützling schnelle und unkomplizierte Hilfe. Von der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Sangerhausen zum Beispiel. "Die haben kurzerhand eine Sektion Tauchen gegründet, damit wir unkompliziert Hallenzeiten bekommen", freut sich Günzel über das große Entgegenkommen in Sangerhausen. Und so ziehen neben den Tauchsportlern die Mitglieder des Vereins für Gesundheit und Rehabilitation des Awo-Kreisverbandes ihre Bahnen. Immer mal schaut einer interessiert zu den Tauchern hinüber, die ein bisschen exotisch wirken mit ihren Neoprenanzügen in der 32 Grad warmen Halle.