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Nachruf auf Stefan Henze Stefan Henze: Kanutrainer aus Halle in Rio gestorben

Von Petra Szag 16.08.2016, 13:32
Stefan Henze
Stefan Henze BSV Halle

Halle (Saale) - Am Dienstag vor einer Woche war die Welt noch in Ordnung. „Klar doch“, sagte Stefan Henze am Telefon. Seine Stimme klang gewohnt ruhig. Obwohl er allen Grund gehabt hätte, aufgeregt zu sein.

Auf den Wildwasserkanal im Deodoro Olympic Parc von Rio fanden die Kanuslalom-Wettbewerbe statt, Henze war zum ersten Mal als Trainer mittendrin. Trotzdem: „Ein paar Minuten haben wir“, sagte er. Ein paar Minuten für ein Interview mit der MZ. Höflich und zugänglich wie immer.

Am 15. August ist Stefan Henze gestorben. Der 35-Jährige erlag seiner schweren Kopfverletzung, die er sich bei einem Autounfall am Freitag in Rio zugezogen hatte.

Einer der erfolgreichsten Sportler, die Halle in den letzten Jahren hervorgebracht hat

Es ist eine dieser schwer greifbaren Geschichten. Drei Tage lagen zwischen dem Gespräch mit der Heimatzeitung in Halle und dem schicksalhaften Unglück. Drei Tage zwischen seiner fröhlichen Erzählung, wie er den Übergang vom Sportler zum Trainer  hinbekommen hatte, und dem Moment, der die Sportwelt erschütterte.

Der deutsche Kanusport hat einen außergewöhnlichen Menschen verloren. Seine Eltern waren im Hospital Miguel Couto im Stadtteil Leblon der Olympiastadt Rio dabei. Seine Familie, die ihn durch sein Leben als Sportler begleitet hatte. Stefan Henze war einer der erfolgreichsten Sportler, die Halle in den letzten Jahren hervorgebracht hatte.

Ein Helfer in der Hochwasser-Not

1998 berichtete diese Zeitung zum ersten Mal über ihn, als er sich den WM-Titel der Junioren im Kanuslalom holte. Gemeinsam mit seinem Freund Marcus Becker war er auf der Saalach im Zweiercanadier zu Gold gepaddelt.

Dabei hat Stefan Henze schon vier Jahre zuvor seine erste Großtat im Boot vollbracht. Halle erlebte ein verheerendes Hochwasser. Also stieg Stefan Henze zusammen mit seinem Vater Jürgen, Bruder Frank und einigen anderen Unentwegten in eines ihrer Boote und retteten Pferde von der überfluteten Rennbahn. Ohne viel Tamtam.

Sicher war damals auch eine große Portion Abenteuerlust bei dem gerade einmal 13-Jährigen dabei. Und doch zeugt diese verwegene Aktion von einer bemerkenswerten Eigenschaft: Hilfsbereitschaft und Selbstlosigkeit.

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Für den Naturburschen, der das Paddeln unter freien Himmel nie nur als knallharten Leistungssport ansah, sondern auch als erfüllende Freizeitbeschäftigung, war dies der Anfang einer stolzen Karriere.

Er sammelte im Kanu EM- und WM-Medaillen - erst beim Nachwuchs, dann in der Elite. 2003 stieg er als Hintermann von Marcus Becker bei den Welttitelkämpfen in Augsburg zum Champion auf. Weltmeister im Zweier-Canadier. „Das ist der schönste Tag in meinem Leben“, hatte er damals gesagt.  

Stefan Henze: Kanutrainer mit Engagement für neuen Kanukanal

Diese WM war ein Heimspiel für ihn. Denn als Sportsoldat trainierte er zwischenzeitlich am größten Stützpunkt seiner Sportart in Augsburg. Dort wohnte er auch lange Zeit mit Marcus Becker zusammen in einer Männer-WG.

Nach Hause verschlug es Stefan Henze dennoch oft. Es war in der elterlichen Wohnung im Süden von Halle, wo er einmal in einem der vielen Gespräche mit der MZ erzählen sollte, wie er eigentlich den Kanusport lieben gelernt hatte. Da ging sein Blick lachend zum Familienoberhaupt. 

Na klar, angesteckt vom Vater, der 1972 Olympia-Teilnehmer war, 1975 Weltmeister wurde. Jürgen Henze verglich ihre sportliche Leidenschaft mit Musik. „Mein Boot ist die Geige, das Paddel der Bogen. Wenn ich mit dem Wasser harmoniere, ergibt das einen guten Klang, also Fahrweise“, sagte er. Stefan Henze nickte. Besser, meinte er damals, hätte er es nicht sagen können.

Ziel: Bedingungen beim Böllberger SV verbessern

Seinen Sport hat Stefan Henze aber auch nicht nur genutzt, um seine Leidenschaft auszuleben. Genauso wie Marcus Becker und ihr zu dieser Zeit ebenfalls sehr prominente Teamkollege Stefan Pfannmöller hatte er sich dafür eingesetzt, dass sich die Trainingsbedingungen für die Vereinskollegen vom Böllberger SV verbessern.

Einen Kanupark an den halleschen Pulverweiden, das hatten sie sich erhofft, der Platz bietet für Leistungssport und Freizeitvergnügen. Als sie 2003 als Weltmeister gefeiert wurden, ein Jahr später dann als Olympia-Zweite von Athen, da hatten die Kanuten das Rampenlicht auch dazu genutzt, um die Aufmerksamkeit von Sponsoren zu gewinnen.

Geschafft hat es ihr Verein nicht. Die Fördergelder flossen stattdessen nach Markkleeberg in der Nähe von Leipzig. Das hatte sich um die Jahrtausend-Wende um die Ausrichtung von Olympischen Spielen bemüht.

Schädelverletzung (mit oder ohne Schädelfraktur) mit Verletzung des Gehirns, deshalb ist grundsätzlich eine stationäre Therapie erforderlich. Ursachen sind ein (stumpfes) Beschleunigungstrauma des Schädels und Gehirns oder eine penetrierende Verletzung (Schädelperforation). (Quelle: www.pschyrembel.de)

Heute trainieren die besten Kanuten aus ganz Mitteldeutschland auf der schmucken Sportstätte in Sachsen. Stefans Bruder Frank, 2012 in London bei Olympia am Start, arbeitet dort als Sportkoordinator. Ein Stück weit ist dieser Kanal vielleicht auch auf Stefan Henzes internationale Erfolge zurückzuführen. 

Sein Sport hat ihn in all den Jahren um die halbe Welt reisen lassen. Er hat viel gesehen. Doch nicht nur gutes. Nach einem Trainingslager im Süden von Afrika kehrte er tief bewegt zurück. "Die Offenheit dieser Menschen hat uns beeindruckt, ihre Armut aber betroffen gemacht. Zum Abschied haben wir Geld zusammengelegt, um den Kindern mit Süßigkeiten eine Freude machen zu können.“

Stefan Henze war stets voller Zuversicht

Mit 31 Jahren war schließlich die Zeit reif für einen Neuanfang. Die Master-Arbeit nach dem Sportstudium war fertig, also suchte Stefan Henze neue Herausforderungen.

Er fand sie in Augsburg. Dort hatte er seine Freundin, seine Wohnung, seinen einstigen Zweierpartner Marcus Becker, mit dem er mehr als 20 Jahre durch dick und dünn gegangen war, und eben den Job als Disziplin-Trainer. Der bescherte ihm sein olympisches Comeback in Rio.

Als Kanute hatte Henze immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen, der Leistungssport hatte bei ihm und seinem Partner seinen Tribut gefordert. Doch seine Reaktion darauf war stets dieselbe: „Davon lassen wir uns nicht unterkriegen“, sagte Stefan Henze gern. Selbst in scheinbar aussichtslosen Situationen strahlte er diese Zuversicht aus. Am 15. August war das Schicksal stärker als diese Zuversicht. (mz)