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Stadtteil Industriegebiet Nord Stadtteil Industriegebiet Nord: Leben zwischen Hafen und Hebebühnen

Von Oliver Müller-Lorey 13.03.2018, 07:00
Oldtimer-Fahrer in ganz Halle schätzen die Schrauber-Kenntnisse von Enrico Jäckel, genannt Janosch. Schließlich hat er sich auch privat alten Motorrädern und Autos verschrieben.
Oldtimer-Fahrer in ganz Halle schätzen die Schrauber-Kenntnisse von Enrico Jäckel, genannt Janosch. Schließlich hat er sich auch privat alten Motorrädern und Autos verschrieben. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Gerade einmal 336 Hallenser wohnen im Industriegebiet Nord. Und damit kommt der Stadtteil nördlich von Trotha der allgemeinen Vorstellung von einem Industriegebiet ziemlich nahe: Wenig Menschen? Stimmt. Fabrikanlagen, Bahngleise, Tankstellen, Baumärkte, ein McDonald’s und ein Hafen? Stimmt auch. Wird es hier, wenn die Nacht über die Stadt hereinbricht, ein wenig unheimlich? Kann man so sagen.

Halle hat mehr als 60 Stadtteile, Viertel und Stadtquartiere. Wir stellen alle vor: hier „Industriegebiet Nord“

Doch langweilig ist der Stadtteil mitnichten, denn all die Fabriken, Hinterhöfe und Werkstätten erzählen spannende Geschichten. Vielleicht gibt es hier sogar die verrücktesten Typen von ganz Halle. So wie Janosch, der mal ein Pferd besaß, aber lieber Motorrad fährt, bei einem Motorrad-Unfall fast sein Leben verloren hätte und seitdem in einer Motorradwerkstatt arbeitet - logisch!

Industriegebiet Nord: „Motorradwerkstatt Halle“ an der Trothaer Straße

Janosch heißt eigentlich gar nicht Janosch, sondern Enrico Jäckel, und arbeitet in der „Motorradwerkstatt Halle“ an der Trothaer Straße. Die liegt am südlichsten Zipfel des Industriegebiets und ist bei so gut wie jedem Zweirad-Fahrer in Halle, zumindest aber bei den Oldtimer-Fans, bekannt. Daran ist gewissermaßen Janosch Schuld. „Oldtimer sind mein Spezialgebiet. Vor allem an Simson und MZ schraube ich in der Werkstatt. Und das sind in der letzten Zeit immer mehr geworden“, sagt der 43-Jährige.

Es gebe immer mehr Jugendliche, die sich das Herumbasteln an den Maschinen noch nicht zutrauen würden, aber unbedingt mit einer „Simme“ durch die Gegend knattern wollten. Schließlich darf die wegen einer Sonderregelung 60 Kilometer pro Stunde fahren. „Im Saalekreis will doch jeder Simson fahren“, sagt Janosch.

Motorradwerkstatt im Industriegebiet Nord: S 50 originalgetreu wieder aufgebaut

Gerade haben er und seine Kollegen eine S 50 originalgetreu wieder aufgebaut. Inzwischen Routine für den gebürtigen Teichaer. Denn er hat viel Erfahrung mit Motoren. „Angefangen hat alles bei uns auf dem Dorf als ich 14 war und einen Traktor-Motor gewechselt habe“, erzählt Janosch. Auf dem Bauernhof half er seinem Vater - dem Schäfer von Teicha - mit und besaß sogar ein eigenes Pferd namens Janosch. Damit wäre auch die Herkunft seines Spitznamens geklärt. Doch 1 PS reichte dem Motorrad- und Oldtimer-Freak bald nicht mehr aus.

Er begann, sich für Fahrzeuge zu interessieren und kaufte sich schließlich, als er schon in Halle arbeitete, ein Motorrad. Bis zum Nachmittag arbeitete Janosch auf Montage, nachmittags und am Wochenende fuhr er Motorrad. „Bis zum 14. März 2003. Da hat es mich direkt hier vorm Aldi an der Trothaer Straße erwischt“, erinnert er sich. „Aus der Ausfahrt kam ein Auto und da hat’s gerumpelt.“

Ein Bruch in der Wirbelsäule und ein fast abgerissenes Bein

Ein Bruch in der Wirbelsäule und ein fast abgerissenes Bein hätten den begeisterten Motorradfahrer fast das Leben gekostet. Seinen Job als Monteur kann er seitdem nicht mehr ausüben, dafür machte er sein Hobby zum Beruf. Von der Hofeinfahrt der Motorradwerkstatt, in der er seit zehn Jahren arbeitet, ist die Einfahrt des Discounters gerade einmal 50 Meter entfernt.

„Das ist wirklich ein Unfallschwerpunkt. Einmal die Woche knallt es hier. Da müsste unbedingt etwas gemacht werden“, sagt Janosch. Ansonsten ist er mit dem Stadtteil und dem angrenzenden Trotha, wo er wohnt, sehr zufrieden. Mit der S- oder Straßenbahn sei man schnell in der Stadt. Einkaufsmöglichkeiten, eine Bank und Parkplätze seien vorhanden. Dass sich die Nahversorgung in Trotha und nicht im Industriegebiet Nord befindet, sei’s drum. Richtig auseinanderzuhalten sind die Viertel im Grenzgebiet sowieso nicht.

Große Aufregung um ein sogenanntes Pyrolyse-Werk im Industriegebiet Nord

Große Aufregung gab es vor einigen Jahren, als ein sogenanntes Pyrolyse-Werk, eine Reifenverwertung, in der Brachwitzer Straße gebaut werden sollte. „Da sind die Leute fast verrückt geworden“, sagt Janosch. 2015 erklärte die Firma, doch nicht ins Industriegebiet ziehen zu wollen und nach einem anderen Standort zu suchen. Einen anderen Investor empfingen die Bewohner des Industriegebiets dagegen mit offenen Armen: Die lange leerstehenden Hallen an der Straße nach Petersberg wurden jüngst wieder mit Leben gefüllt: Der Jump-Trampolinpark eröffnete an der Magdeburger Chaussee.

Janosch fährt auch seit seinem Unfall weiterhin Motorrad, ist sogar in einem Motorrad-Verein im Viertel. Und weil er selbst nach Feierabend nicht genug von Oldtimern bekommt, haben er und seine Freundin zu Hause zwei Wartburgs stehen. „Ein modernes Auto habe ich gar nicht“, sagt Janosch. Wozu auch? Auf Arbeit läuft er, in den Urlaub fährt er mit dem alten Blech manchmal sieht man ihn, wie er mit dem alten Wartburg durchs Industriegebiet fährt. Vorbei an den alten Fabriken, am Hafen und an all den Werkstätten, die so viele Geschichten zu erzählen haben. (mz)