Stadtteil Heide-Nord Stadtteil Heide-Nord: Renaissance der Platte?

Halle (Saale) - Heide-Nord ist Platte. Platte ist grau und wer will schon im Grau wohnen. Diesen Ruf hat Heide-Nord längst weg: Ödnis in allen Schattierungen, dazu Kinderarmut und über 1.000 Hartz- IV-Empfänger, Alkoholismus auf den Straßen. Die Blöcke gelten bei Nicht-Nordlern als Aufbewahrungsboxen für alle Abgehängten. In Wahrheit ist das aber nur ein kleiner Ausschnitt des Bildes.
Zum Stadtteil Heide-Nord gehören genau wie die Plattenbauten auch die schicken Villen und Einfamilienhäuser.
Gerade jetzt hat im Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Neuanfang und Verfall in dem Stadtteil der Neuanfang die Nase weit vorn. Fast alle Wohnungen sind saniert, der Leerstand verringerte sich auf aktuell fünf Prozent, zumindest bei Wohnungen der Halleschen Wohnungsgesellschaft (HWG).
„Es entwickelt sich eine richtige Gemeinschaft“
„Es entwickelt sich eine richtige Gemeinschaft“, sagt Cornelia Bose. Sie ist seit 2010 Teamleiterin der HWG für Heide-Nord. Rechnungen, Reparaturen und soziale Projekte gehören zu ihren Aufgaben. Die HWG hat 1 740 Wohnungen in dem Stadtteil. „Die Bewohner sind liebenswert und alle sind dankbar für jedes Angebot, das es hier gibt“, so Bose. Sie kennt die Nachbarschaft durch ihre Arbeit wie kaum ein anderer. Bose hat das Gefühl, dass in Heide-Nord im Unterschied zu einigen anderen Stadtteilen ein Zusammenhalt herrscht.
„Die Leute passen aufeinander auf“, sagt sie, „und hier muss man auch keine Angst haben, wenn man abends allein unterwegs ist, weil jeder jeden kennt und weiß, welche Kinder zu wem gehören und dann eben auch ein Auge darauf hat“.
Bewohner geben auf ihren Stadtteil Heide-Nord acht
Die Bewohner würden zudem nicht nur auf sich gegenseitig, sondern auch auf ihren Stadtteil Acht geben, „der Öko-Spielplatz wird zum Beispiel total gehegt und gepflegt von den Leuten, weil die Kinder ihn mitgestaltet haben“. Diese Eigenschaft will Bose nutzen, um etwa für Sitzbänke Patenschaften zu vergeben, „so dass sich Einwohner melden können und sich um eine Bank kümmern, sie zum Beispiel mal streichen“, erklärt sie. Die Mischung, an der es anderswo scheitert, klappe hier. Rentner, Studenten, Familien und Ausländer leben zusammen.
Um selbst Teil der Gemeinschaft zu werden, brauche es allerdings Zeit. „Anfangs sind die Leute hier vorsichtig und verschlossen“, sagt sie. Aber wenn sie auftauen, seien die Bewohner sehr entspannt und locker. „Das war nicht immer so, ich habe das Gefühl, die Leute hier sind über die Jahre immer offener geworden“, wie Bose sagt. „Kann sein, dass es im Wohnkomplex zwei noch etwas anders ist, weil da das Einkaufszentrum wegfällt und es nicht mehr viel gibt.“ Das Einkaufszentrum „LEO – Lettiner Einkaufsoase“ oben, im Wohnkomplex zwei, kurz WK 2, der Plattenbausiedlung auf der Anhöhe, ist seit Jahren eine Ruine. Ab und zu brennt es dort, die Fenster sind vernagelt. „Oben“ ist Leerstand sichtbarer als unten. Viele Bewohner von „oben“ verbringen deshalb lieber ihre Zeit „unten“, so Boses Eindruck.
Menschen, die aus der Innenstadt verdrängt wurden
Dass die Begeisterung für Heide-Nord auch eine Einstellungsfrage ist, verraten Gespräche mit denen, die nicht wegen einer Gemeinschaft oder den vielen Spielplätzen hierher gezogen sind, sondern weil das Geld knapp ist,. Tom Stock zum Beispiel. Der Student ist in einen sanierten Block gezogen, „weil die Mieten so günstig sind und ich lieber hier allein wohne, als in einer WG in der Innenstadt.“ Der 19-Jährige lebt seit einem Jahr „unten“, so richtig angekommen fühlt er sich jedoch noch nicht. „Man merkt einfach, dass hier die Menschen wohnen, die aus der Innenstadt verdrängt wurden, weil sie sich die Mieten dort nicht mehr leisten können.“
Eigentlich, so Stock, sei er „nur hier zum Wohnen“. Sein Leben spiele sich woanders ab, in der Uni und der Innenstadt, eben da wo was los sei. In Heide-Nord gebe es ja nichts. Keine Kneipen, Kinos oder Restaurants. Trotz allem will er nicht wegziehen. Die geringen Mietpreise halten ihn hier – und die Hoffnung, „dass von dem Boom, den Halle gerade erlebt auch was nach Heide-Nord schwappt“.
Nach 16 Jahren Platte die Nase voll
Darauf will Mario Lichtner nicht warten. Der Heide-Nordler will wieder weg. Nach 16 Jahren Platte hat er die Nase voll. Der 51-Jährige ist ins WK eins gezogen, weil er nach seiner Scheidung den Gürtel enger schnallen musste. Sobald die Brieftasche es zulässt, würde er gern umziehen, dorthin, wo was los ist. In seinem Block wohnen Azubis und Studenten, immerhin ein gutes Zeichen, denn wo Studenten sind, kommen erfahrungsgemäß auch mehr Studenten nach. Sie sind eine Art inoffizielles Maß dafür, wie angesagt ein Stadtteil ist.
Ob sich hier was tut, ist Dittmar Robra nicht so wichtig. Am besten bleibt alles, wie es ist. 2011 ist der 61-Jährige aus Magdeburg nach Heide-Nord gezogen und kennt mittlerweile „jeden, sogar Andreas Hajek“, sagt er stolz. Auf der Straße grüßen die Leute Robra, klopfen auf den Tisch, wenn er bei am Dönerladen sitzt oder zwinkern ihm zu - wissend, dass er gleich einen Spruch loslässt. „Na Gabi, gut siehst du aus“ - an Frauen verteilt er gern Komplimente. Für den gelernten Maurer machen die Menschen den Stadtteil aus - die Menschen, die auch mal stehen bleiben, um sich zu unterhalten. Umziehen will Robra nie wieder. (mz)