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Sprache der einfachen Leute wird erforscht

Von Sylvia Pommert 07.05.2008, 15:30

Halle/MZ. - Bereits aus den 30er Jahren stammt die Festlegung des damaligen Marburger Wörterbuchkartells, im gesamten deutschen Sprachgebiet mundartliche Begriffe in Wörterbüchern zu erfassen. Flugs ging es an die regionale Aufteilung, doch schon bald stellt sich heraus, dass ausgerechnet in der Mitte Deutschlands ein mehr oder minder unbeachteter "Rest" blieb. Dazu gehörten Altmark, Börde und Harz sowie Teile Mansfelds, Brandenburgs und Anhalts.

Der Magdeburger Prof. Karl Bischoff nimmt sich der Sache an, nennt das Gebiet in Anlehnung an

den Fluss in der Mitte "mittelelbisch" und verschickt Fragebögen - zumeist an Lehrer und Pastoren - in 600 Orte. Die Helfer auf dem Land erfassen fleißig den umgangssprachlichen Wortschatz von Bauern, Kleinbürgern, Handwerkern und Schiffern.

Die Ergebnisse hält Bischoff, der Anfang der 50er Jahre auf den Lehrstuhl für Deutsche Philologie an Halles Uni berufen wird - und die Wörterbuchstelle kurzerhand mitnimmt - auf Karteikarten fest. Rund 275 000 kommen zusammen, dazu etwa eine Million Belege. 1958 aber findet die Arbeit ein jähes Ende, als Bischoff aus politischen Gründen die DDR verlassen muss. Das Material kommt in der Deutschen Akademie der Wissenschaften Berlin unter Verschluss, wo sie bis zur Wende schmort.

Erst 1992 gelingt es unter anderem dem halleschen Sprachwissenschaftler Prof. Gerhard Kettmann, Bischoffs Notizen wieder an die Saale zu holen. Und während ringsum ein Dialektwörterbuch nach dem anderen erscheint, sieht sich die Arbeitsstelle "Mittelelbisches Wörterbuch" am Germanistischen Institut immer wieder vor Finanzierungsprobleme gestellt.

Letztlich aber zahlt sich die Hartnäckigkeit von Arbeitsstellenleiter und Herausgeber Kettmann und Germanist Ulrich Wenner aus. 2002 erscheint der erste Band des Wörterbuchs, sechs Jahre später der zweite. Was allerdings streng genommen genau umgedreht war, denn das Buch mit den Buchstaben H bis O kam als erstes und A bis G danach, doch das habe schlicht wissenschaftliche Gründe gehabt, so Kettmann. In etwa fünf Jahren soll die Reihe vollständig sein. Ulrich Wenner steckt bereits bis über beide Ohren in P bis Z.

Wer nun meint, mit der Nennung der hoch- und niederdeutschen Begriffe und ihrer unzähligen regionalen Spielarten sei es getan, der wird überrascht. Denn den beiden Autoren kommt es vor allem auch auf kulturgeschichtliche Einordnung und Brauchtum an. Wie liefen Hochzeiten ab. Welche Sprichwörter gab es zum betreffenden Begriff. Welche Neckereien lieferten sich einzelne Orte wegen der unterschiedlichen Aussprache. "Wir stellen den Gebrauch der Sprache in seiner Gesamtheit dar", sagt Kettmann. Und das hat dann nicht nur wissenschaftlichen, sondern auch großen Unterhaltungswert.

Den haben vermutlich auch zwei Hobbyforscher aus dem Harz erkannt, die jüngst in den Bänden blättern durften. Spontan bedankten sie sich bei den Autoren mit einem Hexenbesen. Der hängt jetzt genau überm Arbeitsplatz.

"Mittelelbische Wörterbuch", Akademie-Verlag, 128 Euro pro Band.