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Spannende Stadtgeschichte Spannende Stadtgeschichte: Ein Schatzregal auch in Halle

Von Michael Falgowski 30.03.2016, 06:00
Vor dem Bau des Saturn-Kaufhauses an der Leipziger Straße wurden 23.000 Objekte ausgegraben.
Vor dem Bau des Saturn-Kaufhauses an der Leipziger Straße wurden 23.000 Objekte ausgegraben. Thomas Meinicke

Halle (Saale) - Archäologen haben es gut: Jeder Bauherr muss nämlich die amtlichen Bodendenkmalpfleger fragen, bevor er den Bagger vorfahren lässt. Und der Investor bezahlt die von den Wissenschaftlern eventuell angeordnete archäologische Grabung auch noch. Das ist im Denkmalschutzgesetz des Landes geregelt. Die Kollegen der Bau- und Kunstdenkmalpflege haben es da schwerer; sie müssen oft hart mit Hauseigentümern um den Erhalt der Kulturgütern ringen. „Wirtschaftliche Zumutbarkeit“ ist eine Kriterium für den Erhalt der Baudenkmale.

Ins Depot des Landesamtes für Archäologie und Denkmalpflege hingegen gelangen jedes Jahr Zehntausende Funde von privat finanzierten Ausgrabungen in Halle. So wurde beispielsweise vor dem Bau des Saturn-Kaufhauses an der Leipziger Straße, neben der Ulrichkirche, insgesamt 23.000 Einzelobjekte, davon 13.000 Keramikscherben, Knochen und zerbrochenes Glas geborgen. Die ältesten Scherben sind 2.500 Jahre alt. Aber auch mittelalterliche Mauern wurden freigelegt.

„Archäologie findet Stadt“

Auch die Funde von der Leipziger Straße werden im Band 22 der „Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte“ beschrieben, der im Mitteldeutschen Verlag mit dem Titel „Archäologie findet Stadt“ erschienen ist. Die Beiträge über verschiedene archäologische Ausgrabungen schlagen einen interessanten Bogen in der Besiedlungsgeschichte Halles von der Ur- und Frühzeit bis ins 20. Jahrhundert. Und die Archäologen graben Alltagskultur aus. „Im Boden finden sich, wenn auch nur bruchstückhaft, Zeugnisse der Sachkultur, Reste von Bauten oder Überbleibsel menschlicher Aktivität, von denen nie ein Zeitgenosse ahnte, dass sich überhaupt irgendwann jemand dafür interessieren könnte. Damit bergen archäologische Funde und Befunde Informationen, die anderen Quellengattungen fehlen“, sagt Caroline Schulz. Die Referentin für Mittelalter- und Stadtarchäologie am Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie ist Herausgeberin des Buches.

Wie dieses Archiv im Boden zu heben oder wenigstens zu dokumentieren ist, das regelt das Denkmalschutzgesetz des Landes. Vor dem Bau des heutigen Saturn-Kaufhauses etwa wurden in einem Vertrag zwischen Landesamt und Investor Umfang, Dauer Personaleinsatz, Sachleistungen des Bauherrn und die Kosten der Grabung vorher festgelegt.

Stilllegungen von Baustellen

Ganze Stilllegungen von Baustellen sind indes die absolute Ausnahme. Diese gingen meist darauf zurück, dass gesetzliche Bestimmungen wissentlich oder unwissentlich nicht beachtet worden seien, so Caroline Schulz. Großflächige Rettungsgrabungen wie an der Leipziger Straße, oder in der Großen Ulrichstraße sowie für die neue Mediathek der Kunsthochschule am Neuwerk, wo der mit knapp 3.000 Jahren älteste Salzsiedeplatz Halles entdeckt wurde, werden aufgrund des Wissens der Archäologen vorher vereinbart.

In der Altstadt sind aber praktisch sämtliche Erdeingriffe genehmigungspflichtig: 1994 wurde das archäologische Flächendenkmal der Innenstadt ausgewiesen. Es umfasst die mittelalterliche Altstadt mit den nördlich angrenzenden vorgeschichtlichen Siedlungsgebieten. Begrenzt wird es im Süden durch die Hochstraße, im Westen durch die Saale, im Osten durch den Hansering samt dem Areal um den Stadtgottesacker, und weiter nördlich verläuft es ungefähr entlang der August-Bebel-Straße. Im Norden begrenzt der Mühlweg das geschützte Gebiet. Eine wichtige Informationsquelle für die Einschätzung der Archäologen ist das seit 1882 geführte Fundstellenarchiv des Landesamtes. Dort werden archäologischen Funde kartiert - zwischen 25.000 und 30.000 allein in Halle.

Funde beim Bau

Übrigens müssen auch alle zufälligen Funde beim Bau gemeldet werden. Im Gesetz steht dazu: „Wer bei Arbeiten oder bei anderen Maßnahmen in der Erde oder im Wasser Sachen findet, bei denen Anlass zu der Annahme gegeben ist, dass es sich um Kulturdenkmale handelt, hat diese zu erhalten und der zuständigen unteren Denkmalschutzbehörde anzuzeigen“. Der Bodenfund und die Fundstelle müssten zudem bis eine Woche nach der Anzeige unverändert gelassen und geschützt werden.

Sachsen-Anhalt gehört übrigens zur Mehrheit der Bundesländer, die ein Schatzregal im Denkmalschutzgesetz verankert haben: Alles, was bei einer archäologischen Ausgrabung geborgen wird - erst recht ein Schatz - gehört faktisch dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie. Das Schatzregal ist übrigens nicht neu: Schon der um das Jahr 1124 entstandene Sachsenspiegel legte fest, dass Schätze, die unter dem Pflughorizont liegen, dem König gehören. (mz)