Lieb und teuer Lieb und teuer : Wieso muss Moritzburg "entartete Kunst" überhaupt rückkaufen?

Halle (Saale) - Das Kunstmuseum Moritzburg sorgt immer wieder für Schlagzeilen, weil es für viele tausend Euro Bilder kauft, die als „entartete“ Kunst 1937 von den Nationalsozialisten beschlagnahmt worden waren. Vergangene Woche präsentierte Museumsdirektor Thomas Bauer-Friedrich eine Feininger-Zeichnung und ein Aquarell des Malers Christian Rohlfs, die das Museum für je eine „vier- beziehungsweise fünfstellige Summe“ zurückgekauft hatte.
Die Herkunft der Kunstwerke konnte zweifelsfrei belegt werden. Ein Stempel mit der Aufschrift „Städt. Moritzburg-Museum Halle, Paradeplatz 6“ auf der originalen Pappe hinter den Bildern erbrachte den Beweis.
Doch wieso muss die Moritzburg überhaupt so viel Geld für die Kunstwerke ausgeben? Sie hatten dem Museum doch früher gehört? Die MZ hat Museumsdirektor Thomas Bauer-Friedrich und Susanna Köller, Kustodin der grafischen Sammlung der Moritzburg, nach dem Grund gefragt. Und Bauer-Friedrich erklärt, warum Kunstwerke für Tausende Euro manchmal sogar noch ein Schnäppchen sein können.
Was war überhaupt „entartete“ Kunst?
Am 19. Juli 1937 eröffneten die Nationalsozialisten in München die Ausstellung „Entartete Kunst“. Dort wurden Werke gezeigt, die nicht zum Kulturverständnis der Nazis passten und die deren Kulturpolitik widersprachen. Die Diffamierungsaktion richtete sich vor allem gegen moderne Kunst. Zu diesem Zeitpunkt wurden in ganz Deutschland, so auch in Halle, Kunstwerke beschlagnahmt. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung waren es über 20.000 Werke von etwa 1.400 Künstlern.
Wie stark war das Kunstmuseum Moritzburg betroffen?
Zur Zeit der Nationalsozialisten befand sich das Kunstmuseum Moritzburg in staatlicher Hand. Die insgesamt 147 Kunstwerke, die im Jahr 1937 aus der Moritzburg beschlagnahmt wurden, landeten zunächst in einem Zentrallager in Berlin. Von dort sollten sie ins Ausland weiterverkauft werden. Von dem Verkauf versprach sich die Regierung damals wertvolle Devisen.
„Es war deshalb keine Enteignung im eigentlichen Sinne“, sagt Bauer-Friedrich. Die Moritzburg bekam später für die „entartete“ Kunst sogar rund 10.000 Reichsmark und einige andere Bilder zurück, die gegen die „entartete“ Kunst getauscht worden waren.
Welche Kunstwerke sind bereits zurückgekauft wurden?
Laut Moritzburg konnten inzwischen 17 Werke wieder zurückgekauft werden. Dazu zählt etwa das Aquarell „Abstieg“ aus dem Jahr 1925 von Wassily Kandinsky. Dass in der vergangenen Woche eine Kohlezeichnung von Lyonel Feininger und ein Aquarell von Christian Rohlfs wieder in der Moritzburg präsentiert werden konnten, lag im Fall des Werks von Christian Rohlfs vor allem an der Arbeit des Münchner Auktionshauses Ketterer, deren Kunsthistoriker die Echtheit des Stempels auf der Pappe hinter dem Bild bestätigten und daraufhin auf eine öffentliche Auktion verzichteten. Ein „Glücksfall“, wie Bauer-Friedrich es nennt.
Der Moritzburg-Chef versucht nach und nach immer mehr ehemals „entartete“ Kunst zurückzukaufen. „Diese Werke waren wirklich das Herz unseres Hauses. Wir wollen alles dafür tun, sie wieder zurückzuholen“, sagt er. Die teilweise extrem hohen Preise seien dabei vom Markt diktiert. Die Nachfrage sei nun mal enorm hoch, deshalb könnten Kunsthändler „völlig irrationale Preise“ verlangen, so Direktor Bauer-Friedrich.
Besonders tragisch für ihn: Einige der heute wertvollsten Werke gingen in den Weltkriegsjahren für einen Spottpreis über den Tisch. Die Feininger-Zeichnung der Marienkirche etwa, die der Museumsdirektor auf einer Auktion für einen fünfstelligen Betrag erworben hatte, war im Jahr 1940 für gerade mal zwei Dollar an einen Privatmann verkauft worden.
Wieso muss dafür überhaupt gezahlt werden?
Mit einem „Gesetz zur Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst“ legitimierte die Nazi-Regierung 1938 ihre Aktion nachträglich. Der Clou: Bis heute ist dieses Gesetz offiziell nicht für ungültig erklärt worden. Deshalb ist das Kunstmuseum tatsächlich nicht mehr rechtmäßiger Eigentümer der Bilder, die 1937 beschlagnahmt und verkauft worden waren. „Ich glaube nicht, dass dieses Gesetz jemals für ungültig erklärt werden wird“, sagt Bauer-Friedrich. Kustodin Susanna Köller stimmt ihm zu.
Die Folgen für die Kunstwelt wären zu gewaltig, schließlich wechselten bis Kriegsbeginn 1939 rund 20.000 Kunstwerke aus über hundert Museen in ganz Deutschland den Besitzer. Das alles rückgängig zu machen, sei unmöglich, sagt Köller. Außerdem fehle bis heute von vielen damals beschlagnahmten Werken jede Spur, oder sie befinden sich in Privatbesitz. (mz)