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Nach Gerichtsurteil Kunststreit: Nach einem Gerichtsurteil hat Julia Wegat keinen Pinsel mehr in die Hand genommen.

Von Steffen Könau 15.02.2017, 09:01
Das Urteil zu dem Fall Julia Wegat
Das Urteil zu dem Fall Julia Wegat Sreenshot

Halle (Saale)/Frankleben - Sie hat seit dem Tag, an dem das Urteil fiel, keinen Pinsel mehr in die Hand genommen. „Was soll ich denn malen“, sagt Julia Wegat, „welchen Grund könnte es jetzt noch geben, Kunst zu schaffen?“ Es ist vorbei, die Malerin Wegat Geschichte, Vergangenheit, ausgebremst vom Rechtsstaat und verlassen vom Grundgesetz, wie sie es sieht.

Seit einem Gerichtsurteil malt Julia Wegat nicht mehr, sie fühlt sich vom Grundgesetz verlassen

Die Frau mit den roten Haaren schaut ratlos aus tiefbraunen Augen. Es sei ein Schock gewesen, als damals die Klage kam, die ihr verbieten wollte, eines ihrer Bilder weiter öffentlich zu zeigen, sagt Wegat. „Ich habe gelacht, denn das konnte ja nicht wahr sein.“

Wegat, vom Hyperrealisten Gottfried Helnwein ausgebildet und gleich mit ihrer ersten Ausstellung im Münchner Schloss Nymphenburg erfolgreich, verließ sich auf Artikel 5 Absatz 3 Grundgesetz. „Die Kunstfreiheit“, sagt sie, „verbietet es dem Staat, Künstler zu zensieren.“

Doch auf den Schock einer Klage, die genau das bezweckt, folgt der zweite, als das Amtsgericht Halle den Klägern Recht gibt. Und ein dritter, als das Landgericht Julia Wegats Berufung verwirft.

Seitdem ist nichts mehr wie es war in der Welt der gebürtigen Dortmunderin, die seit 2010 im Saalekreis lebt. „Alles, was ich glaubte, ist kaputt“, beschreibt Julia Wegat. Die 47-Jährige kuschelt sich in ihre Jacke und sie zieht den Schal fester.

Es ist kalt geworden in Deutschland, oder zumindest fühlt es sich für sie so an. Wegat klingt nüchtern, als sie aufzählt: „Die Freiheit der Kunst ist verloren, und damit die Unbeschwertheit, die ein Künstler braucht, will er Werke von Bedeutung schaffen.“

Kunstfreiheit: Für die Malerin bis zum Gerichtsurteil ein gelebter Traum

Für die Malerin, die sich selbst als typisches westdeutsches Wohlstandskind beschreibt, eine bittere Erkenntnis. Ihr Leben lang sei sie aufgewachsen im Gefühl, in einer Gesellschaft zu leben, die keine Denkverbote kennt. Die Familie ohne Existenzangst, die Tochter frei, sich mit Musik, Kunst und Literatur zu beschäftigen. „Die alte Bundesrepublik war so gesehen ein Paradies“, beschreibt Julia Wegat, „wir haben uns ausprobieren können, ohne Angst haben zu müssen.“

Als „Herumspielen“ bezeichnet sie das, was ihr heute nicht mehr denkbar scheint: Kunstprojekte wie ihre Männer- und Frauenbilder aus dem Strafvollzug, Porträts von Mördern und Totschlägern, gemalt und gefilmt hinter Gittern.

Oder das Totenprojekt, für das sie ein Jahr lang Menschen malte, die völlig vereinsamt, ohne Nachkommen, Freunde oder auch nur Bekannte verstorben waren.

Kunst, die die Künstlerin an ihre eigenen Grenzen führt. Genau dort habe sie hingewollt, sagt sie. Ein bisschen sei immer der Wunsch Vater des Gedanken gewesen, aus der Komfortzone auszubrechen, näher an den Rand zu rücken, an dem das Leben selbst die Kunst ist wie damals, als der Mauerfall in die westdeutsche Idylle brach.

„Für solche Spielwessis wie mich, die sich zuvor niemals mit dem Osten befasst hatten, war das ein Warnschuss: Moment mal, das System in dem ich lebe, das ist vielleicht gar nicht für die Unendlichkeit.“

Aus Westdeutschland nach Halle (Saale)

Auch der Umzug in den Osten war Wegats Sehnsucht geschuldet, auszubrechen aus der Komfortzone der westdeutschen Kulturszene, in der Bussis getauscht werden wie Tipps, wo sich Förderungen abstauben lassen. „Eigentlich war der Plan, nach Afrika zu gehen“, sagt die alleinerziehende Mutter, „aber meine Tochter wollte in Deutschland bleiben.“

Afrika oder Deutschland? Der Kompromiss ist Ostdeutschland, das nahe, fremde Land. Wochenlang sind Mutter und Tochter damals durch den Osten gefahren, durch unbekannte Weiten, bis dahin nie erkundet. „Die Gegend um Halle hat uns so gefallen, dass wir gesagt haben, hier ziehen wir hin.“

Der Anfang einer Geschichte, die am Ende zu dem führen wird, was Wegat, formal rein sachlich, natürlich aber auch polemisch gemeint, als „das erste Bilderverbot seit 1938“ bezeichnet. In Gimritz, einem kleinem Ort zwischen Saale und Petersberg, findet die Pferdenärrin einen alten Gutshof, in den sie alles steckt, was sie gespart hat.

Eine neue Heimat mit Hindernissen. Im Dorf lernen Wegats zwei Sorten von Menschen kennen: „Die einen waren hilfsbereit, die brachten Decken, als wir im ersten Winter in dem ungeheizten Haus fast erfroren sind.“ Die anderen aber hätten sie bestaunt wie ein Alien: Eine Rothaarige, die allein lebt, ihren irischen Hengst ohne Sattel reitet und Kunst macht. „Das haben einige nicht verstanden.“

Eine Interpretation mit ungeahnten Folgen

Ein Riss, so sieht sie es heute, geht durchs Dorf. Als sie nach einer Ausstellungsanfrage der Christlichen Akademie in Halle zu einer schon bestehenden Serie von Bildern nach bekannten Volksmärchen noch einige neue Motive malen will, beschließt Julia Wegat, ihre Tochter und zwei Freundinnen aus der Nachbarschaft Modell stehen zu lassen. „Das war kein Problem, die Eltern waren einverstanden.“

„Rapunzel 4“ zeigt wie die drei anderen Bilder ein nacktes Mädchen mit kurzem Haar und einem gebrochenen Arm. Die Deutung ist offen, „aber jeder kennt doch das Märchen“, sagt Wegat. Eingesperrt in der Kindheit wie einem Turm? Verletzungen, erlitten, beim Versuch, sich aus ihr zu befreien? Alles denkbar, nur eben nicht die „weichgespülte Disney-Version, die wir sonst zu sehen bekommen“.

Die Villa Rabe am halleschen Rive-Ufer, früher Fabrikantensitz, später Kinderkrankenhaus, zeigt die alten und die neuen Werke, räumlich voneinander getrennt. „Das hat gepasst“, findet Julia Wegat. Dass eine Fachzeitschrift ihre Werke als Anklage gegen Kindesmissbrauch liest, gehört zur Kunstfreiheit. „Man kann niemandem vorschreiben, was er in einem Bild sieht.“

Hier aber hat die Interpretation ungeahnte Folgen. Denn mit einigen Monaten Abstand gewinnt die Deutung der Zeitschrift Wirkung. In Gimritz, das Julia Wegat inzwischen längst Richtung Frankleben verlassen hat, ruft eine Familie eine andere an. Und die ihren Anwalt.

Die Künstlerin weigert sich

Acht Monate später, die Ausstellung in der Villa Rabe ist längst abgehängt, bekommt Julia Wegat eine Unterlassungsaufforderung zugeschickt. Sie solle das Bild, für das ihre Tochter als Vorbild gedient hatte, aus der Bilderserie entfernen, fordert die Familie des Mädchens. Wegat weigert sich. „Alle kannten den Kontext, zudem wird das Mädchen weder namentlich genannt noch ist das Bild eine tatsachengetreue Wiedergabe der Person“, argumentiert sie.

Ende 2015 fällt das erste Urteil

Es dauert noch einmal ein knappes halbes Jahr, bis die Klageschrift eingeht. Und Ende November 2015 fällt das erste Urteil. Das, das die Karriere der Malerin Julia Wegat beendet hat. Die „Zuordnung einer bestimmten Person zu dem Themenkreis des Kindesmissbrauches“ berühre „in hohem Maß dessen persönliche und familiäre Identität“, heißt es im Richterspruch.

Dadurch sei die vom Grundgesetz geschützte persönliche Würde der Dargestellten betroffen. Die Kammer sehe darin einen wichtigen Grund für einen Widerruf der einmal erteilten Zustimmung, abgebildet zu werden.

Auf einmal steht die Malerin aus Frankleben inmitten eines Grundsatzstreites. Vordergründig geht es hier um zurückgezogene Einwilligungen, die Wirksamkeit von Vollmachten und die zeitliche Reichweite des Persönlichkeitsrechtes. Doch aus Sicht der Künstlerin sind es Kunst- und Meinungsfreiheit, die auf dem Spiel stehen.

„Das Bild ist ja meine Interpretation der Wirklichkeit, kein Foto einer real existierenden Person“, versucht Julia Wegat eine Erklärung. Kunst aber könne nur frei sein, wenn sie sich entfalten dürfe. „Muss ich als Malerin jede mögliche Deutungsart mitdenken, jede spätere Interpretation, was bleibt von mir übrig?“

Nichts. Und wie dieses Nichts fühlt sich die Frau mit den tiefen dunklen Augen jetzt. „Alles in meinem Kopf dreht sich nur noch um die Frage, wie es sein kann, dass ein Gericht ein Kunstwerk aus der Öffentlichkeit verbannt.“ Was, wenn das Schule macht? Wenn morgen der nächste kommt und das nächste Bild verbieten lässt?

Statt zu malen, schreibt Julia Weigat nun Petitionen

Julia Wegat begreift die beiden Urteile der halleschen Gerichte als Berufsverbot, das sie am Malen hindert, aber auch herausreißt aus der modernen großstädtischen Gesellschaft der Kulturgenießer, in der Kunst wie eine bunte Borte ums Leben gewickelt wird.

Auf einmal ist der Kampf darum, überhaupt wieder unbefangen Kunst machen zu dürfen, das Kunstwerk. Statt zu malen, schreibt Julia Wegat Petitionen. Statt auszustellen, hat sie Anwaltstermine. Der Anwalt kostet, die Verfahren kosten. Bisher mehrere tausend Euro hat sie ihre Verteidigung gekostet, aber aufgeben will sie nicht.

Der Verband der Bildenden Künstler hat ihr die Unterstützung verweigert, die Münchner Akademie der Bildenden Künste hat sich mit ihr solidarisiert. Beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe liegt seit dem letzten Sommer eine Beschwerde. Julia Wegat hat schon noch Hoffnung, wieder Malerin sein zu dürfen. Aber sie ist winzig klein.

Petition zum Bilderverbot: www. kunst-darf-nicht-verboten-werden.de

(mz)

Julia Wegat in ihrem Atelier, rechts vorn das umstrittene Bild, das wir nur von hinten zeigen dürfen.
Julia Wegat in ihrem Atelier, rechts vorn das umstrittene Bild, das wir nur von hinten zeigen dürfen.
Andreas Stedtler
Das Urteil zu dem Fall Julia Wegat
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Sreenshot
Das Urteil zu dem Fall Julia Wegat
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Sreenshot
Das Urteil zu dem Fall Julia Wegat
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