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Händelfestspiele in Halle Händelfestspiele in Halle: Einstürzende Altbauten im Opernhaus

Von Joachim Lange 28.05.2016, 09:36
Die Oper in Halle
Die Oper in Halle dpa-Zentralbild

Halle (Saale) - Davon, dass „Sosarme, Re di Media“ eine der ganz selten gespielten Händelopern ist, haben sich weder Bernhard Forck und das Händelfestspielorchester, noch Philipp Harnoncourt und sein Team irgendwie beeindrucken lassen. Mit einem mageren Dutzend von Inszenierungen kann man nicht wirklich von einer Rezeptionsgeschichte diese 1732 erfolgreich uraufgeführte Händeloper reden - auf deutschem Boden sind da nur Göttingen und die konzertante Aufführung in Bad Lauchstädt 1989 in den Annalen vermerkt. Für den Festspielauftakt hat das Opernhaus jetzt die Chance genutzt, das vergessene Werk ins rechte Licht unserer Gegenwart zu rücken und sich mit ansteckender spielerischer Freude darauf gestürzt.

Dabei sprechen der musikalische Charme und die immer wieder aufflackernde Experimentierfreude Händels für sich. Wenn die anfangs recht verwirrenden Verwandtschaftsbeziehungen, Obsessionen und die Intrige einigermaßen klar sind (was sich auf sagen wir mal mittlerem Händelniveau hinzieht), dann gibt es nach der Pause ein betörend schönes Duett zwischen dem Titelhelden Sosarme und seiner Braut Elmira, das dem Schlingern zwischen Familienintrige und eskalierendem Bürgerkrieg ein vorübergehendes Innehalten verordnet, um dann mit einem Paradebeispiel für Händels Fähigkeit, mit einer Arienperlenkette vom Feinsten, das Publikum zu fesseln, musikalisch deutlich zuzulegen. Eingängige Melodien, auftrumpfender Rhythmus, auch Steilvorlagen für Witz und Ironie - all das folgt Schlag auf Schlag. Und selbst das liteo fine kommt nicht ganz so abrupt wie es den Gepflogenheiten der Zeit entsprach, sondern verströmt selbst auf den letzten Drücker noch in melodischer Schönheit. 

Am Ende triumphiert Händel dann doch. Aber wen wunderts, wenn sich das HFO auf seinen historischen Instrumenten in Hochform präsentiert, mit einzelnen gestrichenen oder geblasenen Soli glänzt und von Anfang an einen straffen dramatischen Sound liefert, der immer wieder mit betörenden Melodien, Intrigenparlando oder gar Witz aufwartet. Dazu: ein hinreissendes Protagonisten - Ensemble: Das geht los beim händelbewährten Robert Sellier als König (und Vater) und der jungen Henriette Gödde, die als Königin Erenice und Mutter mit ihrer dunkel leuchtenden Präsenz überzeugt (ein beglückender Neuzugang in der Riege der Händelinterpretinnen). Counter Michael Taylor läuft als beider Sohn Argone zu Hochform als Revoluzzer gegen den Vater und die ganze Ordnung auf. Ki-Hyun Park ist als Berater des Königs und Großvater des unehelichen Königssohns Melo (Julia Böhme, mit ihrem prägnanten Mezzo) der dunkel donnernde Fiesling im Stück, dem es fast gelingt, Vater und Sohn in ein Duell zu hetzten. Der bei Benno Schachtner mit stilsicher geschmeidigem Counter ausgestattete Titelheld und vorgesehene Schwiegersohn des Königs schließlich gehört wie seine Verlobte Elmira (in jeder Hinsicht höhensicher: Ines Lex) in die große Koalition der Vernünftigen, die am Ende dann doch ins liteo fine führen, bei dem, wie es sich gehört, nur der Intrigant - von der Einsicht in seine Bosheit übermannt - Selbstmord begeht.

Harnoncourts szenischer Weg dorthin freilich gleicht einem Bühnenbürgerkrieg, bei dem die dafür hochgerüsteten Hilfstruppen des Königs und seines rebellierenden Filius zwar mit ziemlichem Getöse, Lärm und Rauch, inklusive einer veritablen Explosion und einer umstürzenden Häuser- bzw. Ruinenwand, das Bühnenhaus metaphorisch und konkret zerlegen, aber doch am Kern des Konfliktes bleiben. Händel hatte den Plot selbst schon aus der Wiedererkennbarkeit damals aktueller politischer Konstellationen, in eine größere zeitliche und räumliche Ferne verlegt. Das Regieteam (zum dem Katja Rotrekl und Elisabeth Ahsef gehören) holt sie ins exemplarisch Wiedererkennbare heran. Rausgekommen ist dabei ein handfester, ironisch gebrochener Reality-Barock, der trotz des schmetternden „Auf zum Gemetzel, auf zum Tod, auf zum Sieg“ des Soldatenchores (aus Komparsen!) immer wieder mit Selbstironie und Witz unterlaufen wird. Wenn der Intrigant dem König wie eine Marionette tanzen lässt, Sosarme mit einem roten Stoffflecken am Nachthemd eine Mordswunde vortäuscht, sie aber fürs Liebesduett einfach beiseite legt. Oder eben auch, wenn einzelne Musiker immer wieder bei passender Gelegenheit auf der Bühne im doppelten Wortsinn mit-spielen. Dann macht die Collage aus Familie und Krieg zunehmend Spaß. Einhelliger Jubel beim Premierenpublikum! (mz)