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Halle Halle: Unbekannte Weihnachtszettel entdeckt

Von SILVIA ZÖLLER 23.12.2010, 16:58

Halle (Saale)/MZ. - Kinder im Krokoseum der Franckeschen Stiftungen waren der Auslöser für einen überraschenden Fund. Denn sie wollten vor gut zwei Wochen wissen: Wie wurde früher in August Hermann Franckes Waisenhaus Weihnachten gefeiert? Archivarin Carmela Keller kam über diese Frage ganz schön ins Schwitzen. Weihnachten in den Stiftungen hatte bis dahin quasi hinter verschlossenen Türen stattgefunden. "Akten darüber sind nur mit Glück zu finden. Es gibt keinen Ordner mit dem Aufdruck Weihnachten", erklärt sie. Doch ihre Recherchen im Archiv der Stiftungen haben sich gelohnt.

Weihnachten bei Francke ist nun kein unbeschriebenes Blatt mehr - sondern ein bedrucktes. Keller entdeckte bislang unbekannte Weihnachtszettel, die an die rund 2 000 Kinder verteilt wurden, die im 18. Jahrhundert in den Stiftungen lebten. Auf den schmuckvoll mit Blumen oder Eichenblättern umrandeten Zetteln, die in den Stiftungen gedruckt wurden, sind jedes Jahr andere erbauliche Bibelsprüche und Liedertexte abgedruckt worden. "Der älteste stammt von 1722", so Keller. Auch von 1838 bis 1879 sind Zettel mit dem Aufdruck "Auf das heilige Weihnachtsfest" erhalten.

Wie, es gab bloß einen Zettel zu Weihnachten? Papier sei damals teuer gewesen, schon deshalb müsse man dies als echtes Geschenk ansehen, erläutert die Expertin. Eingebettet war die Übergabe des Zettels jedoch in einen größeren Rahmen, wie Keller in den überlieferten Tagebüchern Franckes nachgelesen hat: Es gab ein Weihnachtsprogramm. Zudem hielt Francke am ersten und zweiten Weihnachtstag eine Predigt. Einige dieser Predigten sind ebenfalls in gedruckter Form überliefert - und würden den heutigen Gottesdienstbesucher durch ihren Umfang wohl eher befremden. "Damals war es üblich, bis zu einer Stunde zu predigen", erklärt Eckart Warner, Pfarrer in den Stiftungen.

Noch nicht entdeckt wurden dagegen die Zettel zum Ablauf des Weihnachtsprogramms. Vor allem mit Gesang und Gottesdiensten wurde das Weihnachtsfest aller Wahrscheinlichkeit in den Stiftungen begangen. Gerade an Weihnachtsliedern herrschte im Waisenhaus kein Mangel: So setzte sich beispielsweise das Lied "Macht hoch die Tür" mit der 1704 von Franckes Nachfolger und Schwiegersohn, Johann Anastasius Freylinghausen, komponierten Melodie durch.

Und was war mit Geschenken? Einem Weihnachtsbaum? Festlicher Stimmung? Das Fest der Feste muss man sich karger als heute vorstellen. Francke selbst schrieb 1709, dass vornehmlich um die Weihnachtszeit Spenden für die Kinder eingegangen seien. Einige wurden damit neu eingekleidet, andere erhielten von Wohltätern Braten und Semmeln. "Dass es Geschenke für die Kinder gegeben hat, darüber ist nichts erhalten", so die Archivarin.

Erst Franckes Urenkel und Nachfolger als Stiftungsdirektor, August Hermann Niemeyer (1754-1828), soll von einem geschmückten Baum zum Fest berichtet haben. Und auch einer der späteren Erbauungszettel aus dem Jahr 1872 enthält den Text zum "Lied an den Weihnachtsbaum": "Prangst du schöner Weihnachtsbaum, meiner Kindheit goldner Traum."

Francke selbst kannte zu Weihnachten keinen Müßiggang: In seinem Tagebuch hat er beispielsweise für den 25. Dezember 1721 vermerkt, welche Briefe er nach dem Gottesdienst geschrieben hat und welche Besucher er empfangen hat. "Es war ein ganz normaler Arbeitstag für ihn", so Keller.