Halle/Saalekreis Halle/Saalekreis: Frühaufsteher will ganz hoch hinaus
LANDSBERG/MZ. - Putz bröckelt. Es knirscht im Gebälk. Ein Balken, an einem Ende durchgefault, löst sich. Dann noch einer. Beide krachen auf die morsche Treppe. Als der Staub sich legt, ist klar: Das Bauwerk muss gesperrt werden.
Aufstieg unmöglich - das gilt seit mehr als einem Jahr für den höchsten Kirchturm im Umland von Halle. Thomas Mühlbauer aber will ganz hoch hinaus, sobald wie möglich. "54 Meter über der Erde gibt es einen herrlichen Rundblick, von Landsberg über Halle und Schkopau bis nach Leipzig." Das behauptet Mühlbauer, Begründer und Chef des Fördervereins, nicht nur. Am Tag des Denkmals, am zweiten Wochenende im September, will der nach eigenen Worten "verrückte Schwabe" es den ersten Besuchern beweisen. Der Termin ist gesetzt. Das sei natürlich ein Wettlauf mit der Zeit. "Aber ich bin ein Frühaufsteher und will das so."
Glücklicherweise gibt es bereits den Segen des Denkmalschutzes - und genau so wichtig: Es steht die Finanzierung des Vorhabens. 30 000 Euro sind für die Reparatur und Erneuerung veranschlagt. Dass nun so viel Geld im Topf ist, verdankt der Verein vor allem der Spendenfreudigkeit der Einwohner und Sponsoren. Ein Wunder sei das nicht. Mühlbauer: "Die Leute wollen, dass die Kirche im Dorf bleibt."
Fördermittel stehen momentan nicht zur Verfügung. Ein Ausgleich sind die Eigenleistungen der Klepziger. So muss zum Beispiel für die Beräumung der Einsturzstelle keine Rechnung bezahlt werden. "Das machen wir selbst." So ist das nicht immer gewesen. "Mancher hatte die Kirche wohl schon aufgegeben", glaubt Mühlbauer. Kein Dach, keine Fenster, ein Altarraum voll Schutt, im Ganzen eine Ruine. So ist die Erinnerung an das Jahr 1995. "Ich wollte nicht glauben, dass ein so imposantes Denkmal sang- und klanglos untergehen muss." Deshalb greift der Bauleiter auf ein bewährtes Mittel aus seiner Heimat - einem Dorf in der Nähe von Ulm - zurück. "Ein Verein kann, wenn es darauf ankommt, ganze Berge versetzen." Das Modell funktioniert auch in Klepzig.
Mittlerweile ziehen 168 Frauen und Männer, auch viele junge Leute darunter, mit an einem Strang. Mühlbauers Freund, der Bauer Georg Scheuerle aus dem Nachbarort Queis, sieht darin die größte Leistung des Neu-Klepzigers. Die Kirche, errichtet in der wirtschaftlich besten Zeit des Dorfes von 1754 bis 1768, ist längst wieder der Treff- und Mittelpunkt des Ortes.
Dort starten im Frühling die Traktor-Rundfahrten für die Kinder. Auch die Idee, gemeinsam den Dorfteich zu entschlammen, ist innerhalb der geheiligten Mauern entstanden. Natürlich gibt es Gottesdienste, überfüllte Adventsfeiern, kirchliche Trauungen - unter einem neuen Dach. Im top-sanierten Kirchenschiff herrscht reges Leben.
Auch Mühlbauer, jetzt Mitte 40, schließt dort 2002 seinen Bund fürs Leben. Seine Frau Jeannette stammt aus Nietleben. Die Familie wohnt gleich neben der Kirche, im alten Pfarrhaus. Wenn die beiden Kinder - die siebenjährige Anna-Marie und die fünfjährige Leonie - aus dem Fenster schauen, blicken sie auf ihre Kirchturm. Und alle sind sich einig: "Hier sind wir zu Hause."
Was Ortsfremde möglicherweise nicht ganz ermessen können, ist die Freude über die unzähligen kleinen, erfolgreichen Schritte. An jedem der sechs Meter hohen Bleiglas-Fenster, die den Altarraum schmücken, hängt quasi eine unverwechselbare Geschichte. Unvergesslich ist beispielsweise die Episode mit einem eher zufälligen Besucher aus den USA, der schwer beeindruckt vom Aufbauwerk der Klepziger spontan 5 000 Dollar locker machte.