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Halle Halle: Kaputtes Boot als Kunstverbrechen

Von DETLEF FÄRBER 13.03.2011, 19:20

Halle (Saale)/MZ. - Ein kalendarischer Zufall rückt dieser Tage eindringlich Halles jüngere Kunstgeschichte ins Bewusstsein. Eine Geschichte, die es in sich hatte und - wie kürzlich der 90. Geburtstag des einstigen DDR-Malerfürsten Willi Sitte zeigte - noch immer die Gemüter bewegt. Und die noch immer polarisiert. Am Montag hat ein Kollege und Zeitgenosse Sittes 100. Geburtstag: Kurt Bunge. Dieser Maler war einer, der - wenn man so will - an jenem Scheideweg der DDR-Kulturpolitik im Jahr 1959 eine andere Option als Sitte wählte: nämlich die Flucht in den Westen.

Bunges Abschied aus Halle war der Schlusspunkt eines fast beispiellosen Aderlasses der hiesigen Kunst. Herbert Kitzel, Ulrich Knispel, Hermann Bachmann, Jochen Seidel und viele andere - und noch vor ihnen Charles Crodel hatten Halle Richtung Westen verlassen. Und Burg-Professor Erwin Hahs wurde aus dem Amt gedrängt.

Bunge dagegen war erst 1957 Professor an der hiesigen Kunsthochschule geworden. Und so ist es fast mit Händen zu greifen, wie schwer diesem Künstler das Weggehen gefallen und wie triftig der Grund gewesen sein muss. Aus heutiger Sicht dagegen ist dieser Grund nur schwer zu erklären. Beispielhaft dafür steht Bunges wunderbares "Strandbild". Es ist übrigens auch das Lieblingsbild seines Sohnes Michael Bunge, der heute als freier Architekt in Kassel lebt. Entstanden ist es nach einer Art Workshop hallescher Künstler an der Ostsee - der sich im Nachhinein als schicksalhaft erweisen sollte. Auch Otto Möhwald war dabei und hat verschiedentlich darüber berichtet. Im Anschluss mussten sich die Künstler und Schüler von Charles Crodel knallharte Vorwürfe der stalinistischen Kulturpolitiker der frühen Ulbricht-Ära gefallen lassen.

Worin das Verbrechen der später als "Formalisten" gebrandmarkten Maler bestand, lässt sich an Bunges Bild gut belegen. Es zeigt eine Abendstimmung am Strand: den bereits verlassenen Arbeitsplatz der Fischer und ein zerbrochenes Boot. "Warum malt ihr nicht Arbeiter, wie sie Buhnen ins Meer rammen", sei einer der Vorwürfe gewesen, die sich Bunge und seine Kollegen damals von Funktionärsseite anhören mussten - erinnert sich Möhwald. Und Bunges Sohn Michael präzisiert aus seiner Erinnerung, dass das kaputte Boot wohl schon als "Herabwürdigung der DDR" empfunden wurde, denn, so Bunge-Junior sarkastisch: "Im Sozialismus waren doch alle Boote seetüchtig." Auch, dass in Werken wie diesem Strandbild so alles Heroische völlig fehle, sei ein Vorwurf gewesen - verbunden mit der unerbittlichen Forderung, dass künftig Helden gemalt werden müssten. Denn Kunst galt als "Waffe".

Doch Bunge und seine Freunde passten nicht in dieses Korsett. Sie waren der Welt zugewandt. "Es war ja die Zeit des Existentialismus mit Sartre und Camus - und passend zur Kriegserinnerung stand das Thema Vergänglichkeit im Raum", meint Bunges Sohn im Blick auf die Situation von damals. Sein Vater musste im Westen als 48-Jähriger dann noch mal ziemlich neu beginnen. Denn seine Werke wurden nach der Flucht beschlagnahmt. Bunge hat es dennoch geschafft, sich seinen Platz im Kunstmarkt des Westens zu erobern. Außer von seiner Malerei lebte er freilich auch von Restaurierungsarbeiten und Dozenturen. Mit Willi Sitte blieb Bunge übrigens bis zu seinem Tod vor 13 Jahren befreundet.

Was wäre gewesen, wenn die halleschen "Formalisten" hätten hier bleiben und weiter arbeiten dürfen? Michael Bunge fragt sich das oft. Seine Antwort: "Das hätte wie in Paris werden können".

Am 1. September soll beim Kunstverein Talstraße eine Ausstellung mit Werken von Kurt Bunge beginnen.