Geralf Pochop im Interview Geralf Pochop im Interview: "Die Zeit als Punk in der DDR hat mein Leben geprägt"

Halle (Saale) - Sie haben ja früh einen außerordentlichen Widerspruchsgeist bei Ihnen diagnostiziert. Was meinen Sie, woher der rührt?
Geralf Pochop: Dass Pipi Langstrumpf eine imperialistische Kriegstreiberin sein sollte wie es mir 1973 in der Schule eingebläut wurde, dass unser Musiklehrer von der Schule verwiesen wurde, weil er lange Haare hatte und auch Rockbands in den Unterricht mit aufnahm, dass Jeans und westliche Rockmusik Teufelszeug sein sollte, dass man das Hemd in die Hose stecken muss und vieles mehr, wollte ich so nicht hinnehmen. Als ich dann auch noch beim Wehrerziehungsunterricht, trotz meiner Abneigung gegen jegliches Militär, eine Waffe in die Hand nehmen sollte und andauernd Ärger wegen meiner Frisur und meinen Szene-Klamotten bekam, konnte ich eigentlich nur noch widersprechen.
Dass Sie auf Punk gekommen sind, war das aus Ihrer Sicht von heute aus Schicksal oder Zufall?
Geralf Pochop: Auf jeden Fall Schicksal. Meinen starker Freiheitsdrang, mein Gerechtigkeitssinn, meine Kreativität, meine Selbstständigkeit, meine Abneigung zur gegenüber der Armee und mein Hinterfragen von Dingen führten mich zwangsläufig in diese Szene. Die Zeit als Punk in der DDR hat mein Leben geprägt. Die oben genannten Eigenschaften bestimmen nach wie vor mein Leben. Meine Band Gleichlaufschwankung, den Schallplattenladen Schlemihl-Records und das Label Saalepower-Records hätte es ohne meine DDR-Punk-Zeit auch nicht gegeben. Ich versuche immer noch all meine Träume zu verwirklichen und klappt Plan A nicht, gibt es immer sofort einen Plan B. Auch versuche ich meine Kinder frei zu erziehen: zu selbstständigen, freidenkenden Personen mit starken Rückgrat.
Wäre auch etwas anderes denkbar gewesen (Fußballfan, Metaller, Hirschbrüllbeutelträger)? Und wenn nein, warum nicht?
Geralf Pochop: Vor meiner Punk-Zeit habe ich sowohl in der Fußballfan-Szene als auch in der sogenannten Kunden-Szene Erfahrungen gesammelt. Auch diese Zeiten will ich nicht missen. Sie dienten definitiv zur Wegfindung. Doch für Punk schlug dann mein Herz richtig! Das totale „Anders sein“, die neue Musik ohne festgefahrene Regeln und die Kreativität der damaligen Szene faszinierte mich. Auch die Kompromisslosigkeit und das Nichtanerkennen von Autoritäten fand ich beeindruckend. Das gab es in dieser krassen Form in keiner anderen Szene.
Wann ist Ihnen klar geworden, dass die Staatsmacht Ihre paar Hanseln als besonders gefährlich einschätzt?
Geralf Pochop: Dass die Staatsmacht alle Jugendlichen, die irgendwie anders aussahen, als Bedrohung ansah, bekam ich schon in der Zeit vor Punk mit. Udo Lindenberg hören galt als subversiv, lange Haare waren ein Grund für Ausweiskontrollen, und mein Schwerter zu Pflugscharen-Aufnäher brachte mir und einem Freund eine Nacht mit massiver Prügel auf einem Volkspolizeirevier ein. Diese Schikanen steigerten sich allerdings mit der Anpassung meines Haarschnitts und meiner Kleidung an meinen Musikgeschmack ins Unermessliche. Jeder von uns erlebte fast täglich Ausweiskontrollen. Es gab Zuführungen durch die VP, Entführungen und Verhöre durch die Staatssicherheit, Hausdurchsuchungen, Bedrohungen, Ordnungsstrafen, Einweisungen in Jugendwerkhöfe, Verhaftungen und anschließende Verurteilungen zu Haftstrafen. Alles auf Grund des Outfits als Punk!
Als Höhepunkt wurde ein Paragraph erschaffen, der dieses Aussehen mit einer Ordnungsstrafe bis 500 Mark ahnden konnte. Und das pro Sichtung durch die Staatsorgane! Das Punks als extrem gefährlich eingeschätzt wurden machte sich in Halle (Saale) durch die Verhinderung des geplanten zweiten DDR-weiten Punk-Festivals in der Christus-Gemeinde am 22.10.1983 bemerkbar. Da wurden mit einem massiven Polizei- und Staatssicherheitseinsatz alle Jugendlichen, die in besagte Kirche wollten, gehindert auch nur in die Nähe selbiger zu gelangen. Es gab u.a. brutal durchgeführte Massenverhaftungen. Am Bahnhof herrschte Ausnahmezustand. Selbst unserem Pfarrer Siegfried Neher und dem Superintendenten Helmut Hartmann wurde Bahnhofsverbot angedroht, als er zwischen den Fronten vermitteln wollte. Das alles nur wegen einer Musikveranstaltung in einer evangelischen Gemeinde.
Fanden Sie sich selbst auch gefährlich?
Geralf Pochop: Nein, natürlich nicht. Wie sollten wir paar Hanseln im Alter zwischen 13 und 22 dem Staat denn irgendwelchen ernsthaften Schaden zufügen? Wir wollten anfangs nur unsere Musik hören, zu Konzerten gehen, Punk-Bands gründen, Spaß haben und so rumlaufen wie wir es wollten. Klar sollten unsere Frisuren und die Kleidung auffallen und sicherlich auch provozieren. Aber das ist doch ganz normal. Das machen Millionen Jugendliche während ihrer pubertären Phase auf der ganzen Welt. Als Staatsfeinde haben wir uns anfangs nun wirklich nicht gesehen. Die politische Radikalisierung gegen die DDR entstand erst als Reaktion auf die ständigen Übergriffe und Verbote seitens des Staates.
Was war es, was Sie bei der Stange hielt, trotz – oder wegen – all den Nachstellungen?
Geralf Pochop: Das Lebensgefühl! Punk war damals das Synonym für Kreativität, Freiheit, Unabhängigkeit und Spaß am Leben. Wenn wir irgendwo hinkamen schauten alle auf uns. Wir waren die Coolen! Auf die kollektive Überwachung antworteten wir mit Ironie und verspotteten unsere Verfolger. Als Opfer haben wir uns nie gesehen. Wir sind ja in der Diktatur aufgewachsen und haben sie damals nicht als solche wahrgenommen.
Sie schreiben, (Widerstand) UNTERGRUND sei Strategie gewesen – aber erstmal war Verweigerung Strategie und erst als das zu Repressionen führte, wurde daraus Widerstand – wenn ich es richtig gelesen habe?
Geralf Pochop: Genaugenommen war zuerst der Spaß an der Musik und dem Outfit da. Dann kam die Repression. Um weiter unser Leben so führen zu können wir wir es wollten verschwanden wir im „Untergrund“. Die damit einhergehende Verweigerung und der Widerstand wurden zur Strategie. Z.B. waren ja bis Mitte der 80er Jahre alle DDR-Punkbands verboten und es gab keine Auftrittsmöglichkeiten. Und das obwohl viele der neuen Bands eher spaßige Texte hatten. Ich erinnere nur mal an den Song „Schnupfen“ von Müllstation aus dem Jahre 1982: „Schnupfen, ich hab schnupfen, Hatschi!“ Die Bands wichen in den Freiraum Kirche aus und scherten sich einen Dreck um diese Verbote. Die Texte wurden nun politischer und offen DDR-Feindlich. Niemand nahm mehr ein Blatt vor den Mund. Warum auch? Punk war ja so oder so verboten. Als dann ab ca. 1987 die DDR versuchte Punk-Bands mit FDJ-Förderverträgen zu ködern und damit ihre Texte zensieren zu können, interessierte das die alten Bands (und auch viele neue) nicht die Bohne! Die meisten hätten sich nach den gemachten Erfahrungen eher die Zunge rausgeschnitten als ihre Texte für eine offizielle Spielerlaubnis zu verändern.
Oder ein anderes Beispiel: Da wir in alle möglichen Gasstätten und Jugendclubs nicht rein gelassen wurden, eröffneten wir 1986 eben in Eigeninitiative unser eigenes Cafee in der Christus-Gemeinde. Dieses wurde dann natürlich nicht nur zum Bier trinken genutzt sondern auch um Widerstand gegen die Wehrpflicht und andere Übel und Ungerechtigkeiten des DDR-Systems zu organisieren.
Hat also die DDR euch erst in eine offene Gegnerschaft getrieben? Anders gesagt: Wäre eine andere Punkpolitik, wie sie später mit den „anderen Bands“ gemacht wurde, erfolgreich gewesen?
Geralf Pochop: So kann man das sagen. Der Staat hatte uns über etliche Jahre wegen unseres Musikgeschmacks und unseres Äußeren wie Feinde behandelt. Diese Rolle hatten wir irgendwann angenommen.Wir nutzten unsere schwer erkämpften Freiräume nicht mehr nur, um unser Lebensgefühl auszukosten, sondern hatten im DDR-Untergrund ein Netz aus komplett autonomen Strukturen aufgebaut. Das wäre alles nicht so gekommen, wenn der Staat uns paar pubertierende Jugendliche nicht in unseren persönlichen Grundfreiheiten wie Haarschnitte und Musikgeschmack beschnitten hätte. Mit unsinnigen Verboten, Ordnungsstrafen, Jugendwerkhof oder Gefängnis zu reagieren war definitiv der Auslöser, dass die Punks in der DDR sich dem Staat nicht nur vollständig entzogen sondern auch massiven Widerstand gegen das System leisteten. Ein gutes Beispiel für einen liberalen Umgang mit Punks im Ostblock findet man in Jugoslawien. Dort wurde die neue Musik vom Staat gefördert und die neuen Bands wurden unterstützt. LP-Produktionen wurden finanziert und Punk-Konzerte fanden ganz legal statt. Titow hatte erkannt, dass man die kreative Jugend und den Zeitgeist nicht bekämpfen sondern diese unterstützen sollte.
Haben Sie jemals, also in den dunkelsten Momenten damals, darüber nachgedacht, die Szene zu verlassen und eine ganz normale DDR-Nische zu suchen?
Geralf Pochop: Nein. Eigentlich hat alles, was gegen mich unternommen wurde, nur dazu geführt, dass ich mich in meinem Tun bestätigt fühlte. Während meiner politischen Haft-Zeit versuchte mich die Staatssicherheit mit einer schönen Wohnung, einer tollen Arbeit und einer frühzeitigen Haftentlassung zu ködern, wenn ich meinen Ausreiseantrag zurückziehe und Spitzeltätigkeiten für sie übernehme. In mir kam nur noch mehr Wut hoch. Ich hatte gerade mehrere Wochen in einer Isolationszelle verbracht! Natürlich sagte ich denen ziemlich deutlich was ich von dem Vorschlag und der Stasi hielt. Nämlich überhaupt nichts!
Sie waren ja dann im Westen – was hat Sie zurückgezogen?
Geralf Pochop: Der Westen bedeutete zwar Freiheit, aber ich kam mit der Mentalität der Menschen nicht klar. Alles ging nur noch um Geld. Eine Gemeinschaft, wie ich sie aus dem Osten kannte, gab es dort nicht. Nach dem Mauerfall war ich oft in Halle und eröffnete 1991 mit einem Freund aus der alten DDR-Punk-Szene den Schallplattenladen Schlemihl-Records, der später auch als Label fungierte. Das war dann auch der ausschalgebende Punkt warum ich wieder zurück zog.
Und was hat Sie aus Halle nach Torgau verschlagen?
Geralf Pochop: Nach einer zwei-Jährigen Asien-Reise waren ich und meine Frau offen für alles. Sie bekam eine Stelle in der Nähe von Torgau angeboten. Wir kannten die Stadt durch den Brückenkopf Torgau, ein ehemaliges Gefängnis , das von Punks selbstverwaltet und als Konzertstätte genutzt wird. So kam diese Kleinstadt für uns zum Wohnen in frage. Inzwischen lieben wir das entschleunigte Leben hier.
Sie haben ja lange um eine Rehabilitierung gekämpft und sie schließlich erhalten – was hat Ihnen das bedeutet?
Geralf Pochop: Als politischer Häftling anerkannt zu werden bedeutet mir viel. Durch die Recherchen zur Rehabilitierung bin ich auf viele Sachen gestoßen, von denen ich vorher nichts geahnt habe. Zum Beispiel dass mein Strafmaß schon einige Zeit vor meiner Verhaftung und Verurteilung in einem Stasibericht vorgeschlagen wurde. Auch wurde mir erst in dieser Zeit bewusst, dass die DDR eine Diktatur war. Zu DDR-Zeiten habe ich das System zwar als ungerecht und pervers empfunden doch als Diktatur habe ich es nicht wahrgenommen. Ich bin ja in diesem System aufgewachsen und kannte nichts anderes. (mz)