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Explosion in der Stephanusstraße Explosion in der Stephanusstraße: Überlebender spricht nach zehn Jahren über Inferno

Von Michael Falgowski 06.12.2012, 19:53
21. Dezember 2002: Qualm über den Trümmern, die mal das Haus Stephanusstraße 3 waren.
21. Dezember 2002: Qualm über den Trümmern, die mal das Haus Stephanusstraße 3 waren. Christ Wohlfeld

Halle (Saale)/MZ. - Die Wahnsinnstat liegt fast genau zehn Jahre zurück: Um 10.46 Uhr drei Tage vor Heiligabend im Jahr 2002 erschütterte eine Gasexplosion Halles Norden. Die Zerstörung war total, die Bilder aus Halle wurden europaweit gesendet.

Ein Wohnhaus fiel in sich zusammen, zwei Nachbargebäude wurden schwer und etwa 100 Häuser leicht beschädigt - über das ganze Viertel rund um die Stephanuskirche am Reileck legte sich ein grau-gelber Schleier aus Staub. Vier Menschen wurden damals verletzt, 40 vorübergehend obdachlos. Der Schaden wurde später auf drei Millionen Euro geschätzt.

Am Nikolaustag vor sieben Jahren wurde Norbert W. zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Wegen versuchten Mordes - unter anderem. Der Staatsanwalt hatte nur elf Jahre und neun Monate Haft gefordert. Norbert W. leugnete, aber die Richter waren überzeugt, der hoch Verschuldete habe sein Haus in der Stephanusstraße 3 am Reileck durch eine manipulierte Gasleitung wegen der Versicherungssumme in Höhe von 1,3 Millionen Euro in die Luft gesprengt.

Explosion in der Stephanusstraße: Der Schädel von Horst F. wurde zerschmettert

Beinahe in der ganzen Stadt war der gewaltige Schlag zu hören gewesen. "Ausgerechnet ich bin wohl der einzige, der ihn nicht gehört hat", sagt Horst F. Und lächelt. Der damals 52-Jährige hatte in der Dachgeschosswohnung des Nachbarhauses gerade Zeitung gelesen.

Noch immer ausgelöscht ist aber die Erinnerung an den Moment, als nebenan das Inferno losbrach: Die Wucht der Detonation hob das Dach in die Höhe und sprengte die Mauern. An der Stelle, an der Horst F. gesessen hatte - gab es nichts mehr. Er wurde auf die Straße hinunter geschleudert. Schwer verletzt: Sein Oberkiefer war komplett abgerissen, sein Schädel zerschmettert.

Explosion in der Stephanusstraße: Nach dem Koma wachte Horst F. mit schrecklichem Gedanken auf

Horst F. möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. "Ich lebe heute in anderen Lebensumständen. Ich möchte nicht von allen möglichen Leuten wegen der Ereignisse von damals angesprochen werden. Das ist lästig." Er bevorzuge ohnehin die Anonymität, sagt der promovierte Wissenschaftler.

Schon ein Jahr nach dem Anschlag arbeitete er wieder in seinem Beruf. Das schien am Anfang absolut unwahrscheinlich. Horst F. kann sich noch an seinen ersten klaren Gedanken erinnern, als er nach dem Koma am 30. Januar 2003 erwachte: "Jetzt bin ich behindert."

Aber als die Klammern weg waren, konnte er wieder sprechen und bald auch lesen und schreiben. Äußerlich ist er heute gesund. Doch es gebe nichts schönzureden: "Ich habe nur verloren! Ich bin in meiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt." Der 62-Jährige hat einen Behindertenausweis. Aber natürlich weiß er: "Dass ich noch lebe, dass es mir so gut geht, ist ein Wunder."

Explosion in der Stephanusstraße: Was ein Opfer über den Täter sagt

Seine Geschichte ist aber nur ein Teil des "Wunders von Halle". Denn am 21. Dezember 2002 waren nach dem großen Knall in Halles Krankenhäusern ganze Stationen leer geräumt worden, in Erwartung zahlreicher Opfer. Doch niemand ist bei dieser Explosion mitten in einem Wohngebiet gestorben. Und bis auf Horst F. wurde auch niemand schwer verletzt.

Oft hat er später Norbert W. im Gerichtssaal beobachtet. Fast jeden Prozesstag hat er von den Zuschauerplätzen verfolgt. "Es war so banal. Der Mann war völlig unauffällig. In der Verhandlung wurde aber immer deutlicher, worin er alles verstrickt war, und wie schwach er charakterlich war." Einer seiner Bekannten sagte im Gericht: "W. ist ein feiger Mensch." Nein, entschuldigt habe sich Norbert W. nie. Auch später nicht. "Er hat keine Reue gezeigt. Aber Untaten bereuen zu können, dies ist menschlich."

Horst F. hegt heute keinen Groll gegen Halle. "So etwas hätte überall passieren können." Seine Lebensgefährtin wollte indes nicht mehr nach Halle zurückkehren. Seit Jahren pendelt er nun.

Explosion in der Stephanusstraße: Bewährung frühestens 2014

Zehn Jahre nach der großen Explosion ist den Häusern rund um den Stephanusplatz nichts mehr anzusehen. Nur anstelle der vernichteten Nummer 3 ist heute ein Parkplatz. Die Nummer 2, das Haus im dem damals Horst F. den Anschlagüberlebte, wurde saniert, teilweise neu aufgebaut.

Norbert W. sitzt weiter im Gefängnis. Laut Oberstaatsanwalt Andreas Schieweck endet die Haftzeit 2019 im Sommer - die Untersuchungshaft wird angerechnet. Frühestens 2014 wäre die Aussetzung der Strafe zur Bewährung möglich.