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Ein Team für das Herz Ein Team für das Herz: Herzzentrum in Halle nimmt seine Arbeit auf

22.04.2016, 04:25
Prof. Stefan Frantz (links) und Prof. Hendrik Treede
Prof. Stefan Frantz (links) und Prof. Hendrik Treede UKH

Halle (Saale) - Sachsen-Anhalt hat es am Herzen. Herz-Kreislauf-Erkrankungen füllen hierzulande besonders häufig Krankenakten. Im bundesweiten Vergleich ist im Land die Gefahr, einen Herzinfarkt zu erleiden, am höchsten. Ebenso verhält es sich mit der Gefahr, daran zu sterben. Die Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat auf die Situation mit der Gründung des Mitteldeutschen Herzzentrums reagiert. Am Freitag und Sonnabend wird es mit einem wissenschaftlichen Symposium aus der Taufe gehoben. Über die Ziele und Vorhaben der Einrichtung sprach Bärbel Böttcher mit Prof. Dr. Stefan Frantz, Direktor der Kardiologischen Universitätsklinik, und Prof. Dr. Hendrik Treede, Direktor der Universitätsklinik für Herzchirurgie.

Sachsen-Anhalt ist bei allen Herz-Kreislauf-Erkrankungen trauriger Spitzenreiter. Was kann das Mitteldeutsche Herzzentrum leisten, um diesen Zustand zu ändern?

Treede: Das Problem, das Sachsen-Anhalt hat, muss bei der Wurzel gepackt werden. Es nützt nicht, ihm hinterherzulaufen, also nur die Patienten möglichst gut medizinisch zu versorgen. Im Herzzentrum wollen einen aktiven Beitrag dazu leisten, dass die Herzerkrankungen im Land besser erforscht, frühzeitiger erkannt und auch frühzeitiger behandelt werden. Das könnte auch die Zahl der schweren Eingriffe senken.

Mit welcher Struktur wollen Sie das erreichen?

Treede: Das Mitteldeutsche Herzzentrum wird von vier Säulen getragen. Die erste ist das klassische Herzzentrum am Universitätsklinikum. Das sind vor allem die Kliniken für Herzchirurgie, für Kardiologie und Kinderkardiologie - die bei der Versorgung der Patienten schon immer gut zusammenarbeiten. Die zweite Säule ist die enge Kooperation mit anderen Krankenhäusern und den niedergelassenen Kardiologen. Und dann gibt es noch zwei Säulen, die die Forschung tragen. Da geht es beispielsweise um neue Techniken in der Herzchirurgie oder um das Gebiet der Herzschwäche. Kurzum: Wir stellen uns so auf, dass die Region langfristig mehr davon hat als nur die Behandlung der Kranken im Krankenhaus.

Was verbessert sich ganz konkret für die Versorgung der Patienten?

Frantz: In einem „Herzteam“ wird das Problem des Patienten von verschiedenen Seiten betrachtet. Wenn jemand ein schlecht pumpendes Herz hat, dann leiden unter Umständen auch Lungen, Nieren und Leber. Häufig treten Depressionen auf. Das heißt, wir brauchen den Blick unterschiedlichster Fachrichtungen auf den Patienten, um dann gemeinsam die richtige Behandlung festzulegen. Das ist der Ansatzpunkt.

Sehen Sie in der Versorgung der Herz-Patienten Sachsen-Anhalts Lücken, die durch das Herzzentrum geschlossen werden können?

Treede: Ich denke schon, dass es im ländlichen Bereich Lücken in der Grundversorgung gibt. Was vielleicht gar nicht an den Hausärzten liegt, sondern daran, dass häufig Ärzte erst sehr spät aufgesucht werden. Wir sehen viele Patienten erst in einem sehr fortgeschrittenen Stadium ihrer Erkrankung.

Und wie kann dieser Zustand geändert werden?

Treede: Zum einen durch eine bessere Aufklärung der Menschen. Zum anderen gibt es ja moderne Methoden der Überwachung von Patienten durch Telemedizin. Man kann den Patienten kleine Geräte an die Hand geben, die Daten an das Zentrum liefern und die dann dort zentral ausgewertet werden. So können Patienten, deren Herz zu versagen droht, frühzeitig ärztlich versorgt werden und nicht erst dann, wenn es fast zu spät ist. Dazu machen wir Forschungsprojekte.

Frantz: Der Vorteil einer Universitätsklinik ist es, dass sie durch Forschung neue Strukturen implementieren kann, die die Versorgung verbessern. So haben wir beispielsweise die Hypothese, dass es vielen Patienten hier so schlecht geht, weil es schwerfällt die Medikamente weiterzunehmen, wenn sie aus der Klinik entlassen werden. Wahrscheinlich finden viele gar nicht den Weg zum Hausarzt, um sich diese Medikamente verschreiben zu lassen. Nun wäre es doch möglich, eine Schwester - entweder hier oder bei den Hausärzten - einzusetzen, die bei den Patienten nachhakt, die bei ihnen anruft und sie dazu auffordert, zum Hausarzt zu kommen, die ihnen erklärt, warum es wichtig ist, sich das entsprechende Rezept abzuholen. Durch die hier im Volksmund „Schwester Agnes“ genannten Fachkräfte gibt es da ja sogar schon eine Struktur, die man nutzen könnte. Wir wollen dazu gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern Studien anfertigen.

Wird es denn auch möglich sein, den Patienten moderne Therapien schneller zugänglich zu machen?

Treede: Wir sind heute schon in der Lage, modernste Therapien anzubieten. Wichtig ist es, dass wir es betroffenen Patienten ermöglichen, von diesen Therapien zu profitieren.

Viele kommen zu spät, andere lassen sich in benachbarten Bundesländern behandeln. Ärgert Sie das?

Treede: Es ist tatsächlich so, dass sich pro Jahr etwa 1.000 Patienten aus Sachsen-Anhalt in anderen Bundesländern herzchirurgisch versorgen lassen. Das wollen wir verhindern. Denn dafür gibt es heutzutage überhaupt keinen Grund mehr. Insbesondere die Universitätskliniken in Halle und Magdeburg bieten modernste Therapieverfahren an. Es gibt also keinen Grund, das Land zu verlassen. Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, diesem Trend entgegenzuwirken.

Kommen wir noch zur Prävention. Viele Sachsen-Anhalter pflegen einen Lebensstil, der dem Herzen nicht gerade zuträglich ist. Setzen Sie auch bei der Prävention an?

Frantz: Prävention ist total wichtig. Darum kümmern sich neben uns Klinikern in den Akutkrankenhäusern und Rehakliniken beispielsweise der Lehrstuhl für Rehabilitationswissenschaften, die medizinischen Soziologen und auch die Epidemiologen, die den Zusammenhang zwischen Lebensstil und Erkrankungsrisiko erforschen. Sie alle sind Mitglieder im Herzzentrum.

Sie sind beide noch nicht sehr lange in Sachsen-Anhalt tätig. Haben Sie sich die Gesundheitssituation der Sachsen-Anhalter so vorgestellt oder war sie für die Wahl ihres Arbeitsortes sogar ausschlaggebend?

Treede: Es wäre zu viel gesagt, dass wir uns das Bundesland mit den kränksten Patienten herausgesucht haben. Auch wenn das natürlich eine Herausforderung ist. Ich wusste natürlich schon von den sozialen Bedingungen in Sachsen-Anhalt. Insofern war es keine Riesenüberraschung. Das Ausmaß hat mich dann schon überrascht. Aber ich glaube, das sehen wir nur als Ansporn und gibt die Chance, Dinge anzustoßen, die in anderen Bundesländern vielleicht gar nicht gesehen werden.

Frantz: Man kann intelligente neue Strategien entwickeln. Und findet ein gutes Betätigungsfeld.

Treede: Und eine gute Resonanz, weil der Bedarf gesehen wird - von der Politik, von den Forschungsgemeinschaften aber auch von den Krankenkassen. Das heißt, von denen, die das Geld geben müssen, um solche Forschung möglich zu machen. (mz)