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Die Stasi-Akte Genscher  Die Stasi-Akte Genscher : Wie die Stasi auch Genschers Mitschüler durchleuchtete

Von Silvia Zöller 12.03.2018, 05:00
Genscher vor dem damaligen Interhotel - fotografiert von der Staatssicherheit.
Genscher vor dem damaligen Interhotel - fotografiert von der Staatssicherheit. BSTU

Halle (Saale) - Für Hans-Dietrich Genscher muss der Besuch im Juni 1989 in seiner Heimatstadt Halle ein ganz besonderer gewesen sein: Während des dreitägigen Aufenthalts in Halle besuchte er nicht nur die Händelfestspiele, sondern auch ein Klassentreffen war geplant. Und auch für die Staatssicherheit war das ein großes Ding: Die Aktion ist in den Akten „Renner XIII“ benannt. Renner war der Deckname, den die Stasi für Genscher nutze, der Besuch 1989 war der dreizehnte seit 1974.

Schon seit April 1989 war die Stasi aktiv: „Inoffiziell wurde bekannt, dass an dem genannten Wochenende ein Klassentreffen ehemaliger Schulkameraden stattfinden soll.“ In Vorbereitung des Genscher-Besuchs wurden die früheren Klassenkameraden durch die Stasi „umfassend aufgeklärt“, heißt es in den Akten. Ob Genscher ahnte, dass den sieben Ehemaligen auch klar gemacht worden war, dass sie über das Treffen Auskunft zu geben haben?

Hans-Dietrich Genscher in Halle: „Nur positiv bzw. politisch loyal eingestellte Personen“

„Eine sofortige Auskunftsbereitschaft zum Teilnehmerkreis war ebenso gewährleistet wie eine unmittelbar darauffolgende Abschöpfung zum Inhalt der geführten Gespräche“, heißt es in einem Abschlussbericht der Stasi zum Besuch. Außerdem habe man durch diese Vorbereitung sicher stellen könne, dass „nur positiv bzw. politisch loyal eingestellte Personen an dem Treffen teilnahmen.“

Das Ergebnis war jedoch unspektakulär: Man tauschte Jugenderinnerungen aus. „Politische bzw. politisch-relevante Fragen wurden von keinem der Anwesenden angesprochen“, heißt es in den Unterlagen. Von 19.30 Uhr bis 23.27 Uhr hatte sich Genscher an diesem 3. Juni 1989 im Restaurant „Ufa“ des Interhotels mit den früheren Mitschülern getroffen - und wie schon bei den früheren Besuchen in Halle beobachtete die Stasi den Außenminister der Bundesrepublik auf Schritt und Tritt.

Hans-Dietrich Genscher in Halle:Bis zu 100 Stasi-Leute im Einsatz

„Alle operativen Maßnahmen sind gedeckt und mit höchster Konzentration zu führen“, war die Ansage. Mit 14 Einsatzkräften hatte die Stasi dieses Mal etwas abgespeckt - bei früheren Besuchen waren bis zu 100 Mann im Einsatz.

Jedoch war es nie zu Zwischenfällen gekommen, für die Genscher Anlass gegeben hätte - zudem beharrte er immer auf dem privaten Charakter der Reisen und betonte, dass er keinerlei Publizität wünsche. Trotzdem: Eine Karteikarte der Stasi zu den Halle-Besuchen Genschers trägt den Titel „Beobachtung im Rahmen des Polittourismus des (so wörtlich!) Vizenkanzler Genscher“.

Hans-Dietrich Genscher in Halle: Aktion „Renner XIII“ am 3. Juni 1989

Mit „höchster Konzentration“ ging so die Aktion „Renner XIII“ am 3. Juni 1989 um 10.22 Uhr an der Grenzübergangsstelle Wartha los. In drei Fahrzeugen reisten Genscher, seine Ehefrau und zwei befreundete Ehepaare sowie Sicherheitsbeamte des Bundeskriminalamtes ein. Ein Kommando des Personenschutzes der Staatssicherheit begrüßt Genscher, der die Begleitung des Konvois „kommentarlos akzeptiert“.

Minutiös ist aufgelistet, dass Genscher um 12.25 Uhr am Interhotel „Stadt Halle“ eintrifft, um 13.15 Uhr sein Mittagessen im Restaurant einnimmt und um 14.08 Uhr das Hotel in Richtung Bad Lauchstädt verlässt. Dort wollen Genscher und seine Freunde die Händel-Oper Sosarme sehen. Pikant: Im Bericht der Stasi ist nachzulesen, dass Genscher auf der Rückfahrt nach Halle - also in seinem Auto - seinen Begleitern das Hauptgebäude der Martin-Luther-Universität erklärt. Wer die Stasi darüber informiert hat, bleibt ein Rätsel - in den Akten ist es nicht aufgeführt.

Hans-Dietrich Genscher in Halle: 23.27 Uhr geht Genscher ins Bett

18.26 Uhr: Rückkehr im Hotel, 19.30 Uhr Beginn des Klassentreffens. 23.27 Uhr geht Genscher ins Bett. Auch der Folgetag ist lückenlos beobachtet worden, auch Telefongespräche, die Genscher im Hotel gibt, werden komplett wiedergegeben. Selbst bei dem Besuch eines Gottesdienstes in der Marktkirche ist ein Stasi-Spitzel dabei. „In der Kirche befanden sich ca. 100 Gläubige, die von Genscher wenig Notiz nahmen.Die Predigt des Pfarrers befasste sich vorwiegend mit Fragen des Umweltschutzes und ähnlichen Problemen, wobei keine provokatorischen Äußerungen festgestellt werden konnten.“

Auf die Anwesenheit Genschers sei der Pfarrer in der Predigt nicht eingegangen, beim Verlassen der Kirche habe er sich aber persönlich von ihm verabschiedet.

Hans-Dietrich Genscher in Halle: Ein Spaziergang an der Saale

Ein Spaziergang an der Saale, ein Besuch auf dem Friedhof in Queis, wo Genschers Großvater begraben ist, eine weitere Opernaufführung in Halle, selbst beim anschließenden Absacker in einer Gaststätte läuft die Stasi mit. Um 00.57 Uhr des 5. Juni 1989 dürfen auch die Spitzel Feierabend machen - Genscher und seine Freunde begeben sich im Interhotel auf ihre Zimmer. Die Nacht ist kurz: Schon um 7.46 Uhr des nächsten Morgens verlässt Genscher mit seiner Begleitung das Hotel in Richtung Eisenach.

Dass Genscher Frühaufsteher war, hatte die Stasi freilich längst ausgekundschaftet. In einem Vermerk zur Person heißt es, dass Genscher ab 6 Uhr morgens arbeitet und das bis zu 18 Stunden täglich. Er liebe keine langen Vorträge. Hobbys: lesen und Zinnbecher sammeln. „Nichtraucher, trinkt wenig Alkohol und Kaffee. Möchte später ein Haus im Harz“, fasst die Stasi Genschers Vorlieben zusammen.

Hans-Dietrich Genscher in Halle: „Ich spreche hier als Hallenser zu Hallensern.“

Wie schon in den Vorjahren gehen Genscher und die „Genossen des Sicherungskommandos der Hauptabteilung PS“ in Frieden am 5. Juni 1989 um 10.37 Uhr an der Grenze auseinander. Genscher bedankte sich artig für die Begleitung und „brachte die Erwartung zum Ausdruck, dass man sich bei seiner nächsten Einreise in die DDR wiedersehen möge“.

Das sollte nicht so sein. Bei seinem nächsten Besuch in Halle im Dezember 1989 war nichts mehr so wie früher, die Mauer war gefallen. Genscher traf mit Aktiven aus den Bürgerbewegungen und Reformgruppen zusammen und würdigte den in der DDR vollzogenen Auf - und Umbruch, der auch auf die Bundesrepublik Auswirkung habe. Er ermunterte die Anwesenden, auf diesem Weg weiterzugehen, hieß es in einer Meldung der Nachrichtenagentur ADN damals. Als Genscher im Februar 1990 auf dem halleschen Marktplatz spricht, kommen Tausende und applaudieren ihm, als er sagt: „Ich spreche hier als Hallenser zu Hallensern.“ (mz)

Das Genscher-Gymnasium war unter dem Namen Friedrich-Nietzsche-Schule die Bildungseinrichtung, an der Genscher 1946 sein Abitur ablegte.
Das Genscher-Gymnasium war unter dem Namen Friedrich-Nietzsche-Schule die Bildungseinrichtung, an der Genscher 1946 sein Abitur ablegte.
Günter Bauer