Boxen Boxen: Der Job als Empfehlung

Halle/MZ - Allein sein? Muss nicht sein! In der Gruppe in einem Café oder einer Kneipe, so denkt Steffen Kretschmann, macht es mehr Spaß, sich einen Box-Kampf anzuschauen. Und es kreisen die Gedanken auch nicht ständig darum, ob er vielleicht eines Tages selbst da stehen wird, wo jetzt Francesco Pianeta steht: im Ring als Herausforderer von Weltmeister Wladimir Klitschko.
„Ich gebe zu, ich habe das im Hinterkopf“, bestätigt Kretschmann. Was wäre er auch für ein Profiboxer, wenn er nicht auf einen Schlagabtausch mit dem Superchampion hoffen würde?! Doch als Nummer elf der deutschen und Nummer 186 der Weltrangliste? Klingt irgendwie nach Luftschloss.
Zugegeben, die Möglichkeit ist vage, doch sie ist da. Denn Kretschmann machte - nun schon zum zweiten Mal - den Job, den zuvor Pianeta als Sprungbrett nutzen konnte. Der Magdeburger hatte sich einst als Sparringspartner in den Blickwinkel von Klitschko geboxt.
Nun also trainierte der Hallenser drei Wochen lang im österreichischen Going mit dem Mann, der in der Königsklasse seit Jahren das Nonplusultra ist. Er half ihm, sich für den WM-Kampf in der Nacht zum Sonntag in Mannheim in Form zu bringen. Nahezu täglich standen zwölf Runden Sparring auf dem Trainingsplan. Zwölf Runden für Klitschko, während sich anfangs neun Boxer den Part des Gegners teilten. Am Ende waren es noch fünf, und einer davon war Kretschmann. Was ihn schlussfolgern lässt: „Offenbar habe ich meine Sache gut gemacht.“
Gelohnt hat es sich für ihn allemal. „Mit dem besten Boxer der Welt zu trainieren, ist eine Riesenchance“, sagt Kretschmann, „ich habe eine Menge dazugelernt.“ Vor allem im taktischen Bereich. Es sei gar nicht so leicht, gegen einen Mann wie Klitschko kein festes Ziel zu sein. Kretschmann verrät: „Bewegung ist das A und O.“
Ein solches Camp bringe ihn weiter voran als jeder Kampf, ist sich Kretschmann sicher. Den Boxabend vor zwei Wochen im Maritimhotel hatte er deshalb kurzfristig abgesagt. Auch wenn er jetzt gerade Kämpfe braucht, um sich mit Siegen in der Weltrangliste wieder nach oben zu arbeiten.
Auch finanziell rechnet sich der Ausflug von Kretschmann in die Abgeschiedenheit der Tiroler Berge, obgleich er keine Summe nennt. „Das ist vertraglich so vereinbart.“ Eines ist aber klar: Das ist das Geld, das er dringend braucht. Den jahrelangen Rechtsstreit mit seinem früheren Promoter Achmed Öner, der ihm noch immer eine fünfstellige Summe schuldet, hat er zwar vor Gericht gewonnen. Bekommen hat der Vater einer zweieinhalb Jahre alten Tochter diese deshalb aber immer noch nicht.
Glücklicherweise ist da nach wie vor der private Förderer aus München. Er glaubt fest an den Karriere-Durchbruch des zweifachen WM-Dritten der Amateure auch im bezahlten Sport. So kann Kretschmann weiter akribisch trainieren und bei kleineren Veranstaltungen Ranglistenpunkte sammeln wie möglicherweise im Juli in Weißenfels. Und da ist noch die offene Rechnung mit Timo Hoffmann. Der hatte ihm nach einem abgebrochenen Kampf bei einer verregneten Freiluftveranstaltung die Revanche versprochen.
Erst einmal ist für Kretschmann eine Lehrvorführung angesagt. Mit Freunden in einer Kneipe.