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Auf Spurensuche in Halle Auf Spurensuche in Halle: Vor 50 Jahren begann Produktion des Wartburg "Tourist"

Von Dirk Skrzypczak 05.09.2018, 12:00
Acht stolze Besitzer eines Wartburg Tourist nahmen am Wochenende vor dem ehemaligen Karosseriewerk in der Berliner Straße Aufstellung.
Acht stolze Besitzer eines Wartburg Tourist nahmen am Wochenende vor dem ehemaligen Karosseriewerk in der Berliner Straße Aufstellung. Silvio Kison

Halle (Saale) - Reng deng deng: Mit dem typisch blechernen Klang rollen acht Wartburg auf den Innenhof der Industrieanlage in der Berliner Straße. Die Luft riecht nach Zweitaktgemisch, ungefiltert und authentisch. Es ist eine besondere Heimkehr für die Veteranen des DDR-Automobilbaus und ihre Fans: 1968, vor 50 Jahren, ist im Karosseriewerk in der Berliner Straße der erste Wartburg-Tourist vom Band gelaufen, die Kombiversion des 353.

Heute nutzt der aufstrebende Internet-Händler „Relaxdays“ die einstigen Werkhallen als Lager für seine Produkte. 1991 war die Produktion des Wartburgs eingestellt worden. Seit 1988 werkelte ein Viertakt-Motor von VW unter der Haube, doch das Aus der Baureihe konnte das Herz aus dem Westen nicht verhindern. „Heute hier an diesem Ort zu sein, ist ein unglaubliches Erlebnis. Wir sind Zuhause“, sagt Patrick Kuna (35), der das Treffen organisiert.

Warum die DDR-Bürger jahrelang auf ihre bestellten Fahrzeuge warten mussten

Andreas Rössel ist mit seinem Tourist aus dem thüringischen Friedrichroda nach Halle gekommen - und er hat die Bewunderer auf seiner Seite. Sein Wartburg von 1972 ist ein Rechtslenker, exportiert von der DDR für den Markt in Großbritannien. „ Ich habe lange nach einem Modell gesucht und bin dann in Ungarn auf diese Variante gestoßen“, erzählt er. Im Seitenfenster klebt die Preisliste von 1973. 882,33 Pfund sollte der Tourist seinerzeit kosten, ein Schnäppchen.

Warum die DDR-Bürger jahrelang auf ihre bestellten Fahrzeuge warten mussten, beschreibt Autor Peter Kirchberg in seinem Buch „Plaste, Blech und Planwirtschaft“. So waren von den rund 54.000 im Jahr 1975 produzierten Wartburg nur etwas mehr als 8.900 für das Volk bestimmt - über 34.000 Fahrzeuge verkaufte der Hersteller dafür ins Ausland.

Wartburg-Fan in Halle: Das Fahrzeug hat eine Seele

Es ist die emotionale Bindung, die Fans wie Uwe Wohlgemuth an die Modelle mit der Eisenacher Wartburg im Logo kettet. „Das Fahrzeug hat eine Seele. Mein Vater hatte seit 1983 einen Tourist. Es war unser Familienauto. Wir sind mit ihm bis nach Bulgarien gefahren“, erzählt der Markkleeberger.

Den Wartburg hat der 46-Jährige immer noch. 240.000 Kilometer ist der Zweitakter seitdem gelaufen. Mit der dritten Kupplung zwar, aber mit dem ersten Motor. „Heute nutze ich ihn als Saisonfahrzeug. Für den Winter ist er zu schade“, sagt Wohlgemuth. In der kalten Jahreszeit fährt er den 1,3er Wartburg, den mit VW-Motor, der hat die bessere Heizung.

Wartburg-Produktion in Halle: Nur noch wenige Spuren

Auf dem Werksgelände an der Berliner Straße muss indes die Fantasie helfen. An die Automobilgeschichte des Standorts erinnert heute nichts mehr. Auch Relaxdays-Chef Martin Menz, Halles „Online-König“, wusste nichts von der Karosserie-Geschichte, als er 2011 in die Berliner Straße zog. „Vor uns war die Mäc-Geiz-Gruppe hier. Aber ich finde den Aspekt interessant. Vielleicht können wir das nutzen“, sagt der Unternehmer.

Und dann lässt er seine Gäste in eine der Hallen, in der die Wartburg-Kombis zur Endkontrolle kamen. Für die Besitzer ein großes Erlebnis. Mit rationalen Maßstäben lässt sich ihre Leidenschaft nicht erklären. „Ich habe den Gegenwert eines Kleinwagens in die Reparatur meines 353 gesteckt“, sagt Patrick Kuna stolz. Der IT-Fachmann schätzt die technische Schlichtheit des Wartburgs.

Wartburg-Fan in Halle: „Hier kann ich noch selbst schrauben.“

„Hier kann ich noch selbst schrauben.“ Und außerdem sei der Tourist so groß, dass problemlos eine doppelte Luftmatratze in das Heck passt.

Fünf Baureihen des Wartburg wurden von 1956 bis 1991 unter Regie des VEB Automobilwerk Eisenach gebaut - insgesamt über 1,6 Millionen Exemplare. Nach der Wende sind die Fahrzeuge weitgehend aus dem halleschen Stadtbild verschwunden, aber es gibt sie noch. Nach Angaben der Kfz-Zulassungsstelle sind in Halle aktuell 67 Wartburg und 202 Trabant angemeldet. Ihre Zahl hat sich in den vergangenen zehn Jahren übrigens kaum verändert. 2008 ratterten 75 Wartburg und 228 Trabant auf den Straßen der Stadt.
Der Kauf eines Neuwagens in der DDR war grundsätzlich mit einer mehrjährigen Wartezeit verknüpft, da die Nachfrage die Produktionskapazitäten deutlich übertraf. Der Zeitraum zwischen der Fahrzeugbestellung beim VEB Ifa-Vertrieb und der Zuteilung belief sich Anfang der 1970er Jahre auf durchschnittlich 17 Jahre. Im Prinzip wurden die Autos blind bestellt - einen Einfluss auf Ausstattung und Farbe hatten Kunden nur begrenzt. Da der Binnenmarkt faktisch abgeschottet gewesen ist, kam es zu der kuriosen Situation, dass gebrauchte Fahrzeuge bei privaten Verkäufen meist deutlich über Listenpreis gehandelt wurden.
Das Karosseriewerk in der Berliner Straße ist Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden. Zunächst wurden hier Luxuswagen gebaut. 1968 war das Werk zunächst das einzige in der DDR, das den Wartburg 353 als Tourist baute. Erst in den 70ern kam das Werk im sächsischen Radebeul dazu.
››Eine Beitrag über das Wartburg-Treffen in Halle sendet TV Halle am Mittwoch ab 18 Uhr in ihrer Reihe Sommertour.

Das Platzangebot ist auch der Grund dafür, warum vor allem Handwerker auch nach der Wende zum Tourist griffen - und die Fahrzeuge herunterwirtschafteten. Entsprechend knapp ist das Angebot. Tobias Kunze (31) ist aus dem Odenwald mit seinem biberbraunen Wartburg nach Halle gefahren.

Er hat die Original-Rechnung der Vorbesitzer. 20.526,80 DDR-Mark kostete das Auto 1979. Sicherheitsgurte, Schiebedach, Teppichgarnitur, Mittelschaltung, Heckwaschanlage und Radio gab es extra. Ein Hauch von Luxus. (mz)

Wartburg-Service
Wartburg-Service
Silvio Kison
Ab 1968 wurde der geräumige Kombi in Halle gebaut.
Ab 1968 wurde der geräumige Kombi in Halle gebaut.
Silvio Kison
Den Wartburg gab es in verschiedenen Varianten mit 45 bis 58 PS.
Den Wartburg gab es in verschiedenen Varianten mit 45 bis 58 PS.
Silvio Kison