15. Oktober 1989 in Halle 15. Oktober 1989 in Halle: Aufbruch in der Pauluskirche

Halle (Saale) - Es war einer der Höhepunkte des Wende-Herbstes 1989 in der DDR-Bezirksstadt Halle: Am 15. Oktober vor 25 Jahren strömten rund 3.000 Menschen in die Pauluskirche, um „Gewaltfreiheit für unsere Stadt“ zu fordern. Hauptanlass der ersten freien Bürgerversammlung seit Jahrzehnten in der Stadt waren die Ereignisse am Montagabend, 9. Oktober, im Zentrum: Polizei, Kampfgruppen und Staatssicherheit waren dort nach einer Andacht in der Marktkirche mit Härte und Gewalt gegen rund 400 Menschen vorgerückt und hatten 37 Demonstranten „zugeführt“, sprich festgenommen. Zur selben Zeit gingen dagegen im nur 40 Kilometer entfernten Leipzig 70.000 Menschen auf die Straße – eine Menschenmenge, vor der Polizei, Stasi und Betriebskampfgruppen der SED kapitulieren mussten.
Gerüchte über Mobilmachung kursierten
Während die Leipziger Demonstranten damit eine neue Dimension des Widerstands gegen den bröckelnden SED-Staat erreicht hatten, war die Gefahr in Halle noch nicht gebannt. Aus diesem Anlass veröffentlichten 20 Bürgerrechtler und Kirchenvertreter aus der Stadt am 13. Oktober 1989 einen Aufruf zum „offenen Gespräch“. Sie befürchteten, dass die Staatsmacht am nächsten Montag in Halle erneut mit Gewalt gegen friedliche Demonstranten vorgehen könnte. In der Stadt kursierte das Gerücht, dass vom Rat der Stadt eine Mobilmachung der „bewaffneten Organe“ geplant sei.
Die Evangelische Paulusgemeinde in Halle hat in Erinnerung an die Versammlung am 15. Oktober 1989 „kein extra Gedenken geplant“. Das sagte Pfarrer Christoph Eichert (48) auf MZ-Anfrage. Er ist dort seit fünf Jahren Pastor. Nach Auskunft von Superintendent Hans Jürgen Kant war das Ereignis von 1989 Thema in der Predigt und Fürbitte am Sonntag in der Pauluskirche. „Die Versammlung ist in vielen Gemeinden sehr präsent“, sagte Kant.
Die nach dem Aufruf der Bürgerrechtler für Sonntag, 15. Oktober, um 15 Uhr anberaumte Bürgerversammlung in der Pauluskirche sprach sich schnell in der Stadt herum. Ein Punkt zum Informationsaustausch war die seit dem 10. Oktober eingerichtete Mahnwache an der Georgenkirche am „Knoten 46“ nahe dem damaligen Busbahnhof, die sich für die bei der Demonstration am 7. und 9. Oktober in Halle verhafteten Männer und Frauen einsetzte.
Keine Uniformen nahe der Pauluskirche
Tausende Hallenser strömten am Sonntagnachmittag des 15. Oktober Richtung Pauluskirche, die schon bald überfüllt war. „Es waren damals knapp 3.000 Menschen in der Kirche“, erinnerte sich Günter Buchenau, damals Superintendent und Pfarrer, im Jahr 1999 im Gespräch mit dem Historiker Udo Grashoff an den Höhepunkt im Wende-Herbst 1989 in der Stadt. Die Atmosphäre sei von einer unglaublichen Aufbruchsstimmung geprägt gewesen. Doch auch Angst ging damals um, viele Menschen befürchteten die Gewalt der Staatsmacht, auch wenn in der unmittelbaren Umgebung der Pauluskirche am Sonntag keine uniformiere Polizei zu sehen war.
Welche Forderungen die Bürgerversammlung verabschiedete und wie der damalige SED-Oberbürgermeister reagierte, lesen Sie auf der nächsten Seite.
Das Neue Forum war nach Recherchen von Historiker Grashoff damals zwar Initiator der Bürgerversammlung, habe sich jedoch nicht in den Vordergrund gedrängt, weil die Sorge bestand, Polizei und Stasi könne damit ein Vorwand geliefert werden, gegen das zu dieser Zeit noch verbotene Forum vorzugehen, . Nach einer zweistündigen Aussprache in der Pauluskirche verabschiedeten die Menschen der ersten freien Bürgerversammlung in Halle seit Jahrzehnten unter tosendem Beifall sechs Forderungen, vor allem nach Gewaltfreiheit, aber auch nach öffentlicher Diskussion von Missständen wie der Umweltverschmutzung und dem Verfall der Altbausubstanz Noch am selben Abend traf eine Delegation der Bürgerversammlung im Stadthaus ein, um dem dort versammelten Rat der Stadt ein Papier mit den Forderungen zu übergeben. Superintendent Buchenau, einer der Delegierten, erinnerte sich 1999 daran, dass der damalige Bürgermeister Eckhard Pratsch (SED) sich zwar zum Dialog bereit erklärt habe, das Papier aber nicht entgegennahm. Also verlasen die Delegierten schließlich ihre Forderungen, während die Verantwortlichen der Stadt mit eisigem Schweigen reagierten.
Stille Demonstration mit Kerzen
Am nächsten Tag, dem 16. Oktober 1989, gab es die erste friedliche Montagsdemonstration in der Bezirksstadt: Rund 2.000 Menschen stehen mit Kerzen in den Händen auf dem Marktplatz. Polizei und Staatssicherheit schritten nicht ein, der Wende-Knoten war auch in Halle geplatzt. Und nicht nur dort: Drei Tage später, am 18. Oktober 1989, trat der 77-jährige Erich Honecker nach 18 Jahren an der Spitze der DDR als Staats- und Parteichef zurück. Nur wenige Tage später, am 26. Oktober, mussten im Volkspark in Halle Vertreter des SED-Machtapparates und anderer staatlichen Stellen erstmals in einem öffentlichen Forum Rede und Antwort stehen. (mz)
