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26. Oktober 1989 in Halle 26. Oktober 1989 in Halle: Freiheit im Volkspark

Von WOLFRAM BAHN 25.10.2009, 17:50

HALLE/MZ. - In der Innenstadt sind an diesem Abend mehr Menschen unterwegs als sonst. Die Straßenbahnen, die in Richtung Kröllwitz fahren, quellen fast über. Auch Passanten ziehen in Scharen die Straßen entlang. Sie alle drängt es zum Volkspark.

Kein Wunder: Sie alle wollen dabei sein, wenn Vertreter des SED-Machtapparates und der staatlichen Stellen an diesem Tag erstmals in einem öffentlichen Forum Rede und Antwort stehen. Zum ersten Mal kann für eine Dialogveranstaltung mit der Staatsmacht der Schutzraum der Kirche verlassen werden. Eingeladen dazu hat Halles damaliger Oberbürgermeister Eckhard Pratsch, ein gemäßigter SED-Mann, der in jenen stürmischen Zeiten bei vielen Hallensern als eine Art Hoffnungsträger gilt.

Freiwillig ist es allerdings nicht zu der Versammlung gekommen, die von einem Wissenschaftler der Universität moderiert wird. Vier Tage zuvor, am Montag, dem 23. Oktober, hatte Pratsch diese Zusage gemacht, nachdem sich die erste Montagsdemo in Halle formiert hatte. 7 000 Bürger sind an jenem frühen Abend in einem Protestzug durch die Innenstadt gezogen. Auf Transpartenten fordern sie "Pressefreiheit" und "Ja zur Demokratie" ein. Die Demonstranten marschieren auch zur damaligen SED-Bezirkszentrale in der Nähe des Hauptbahnhofes, wo die Parteispitze immer nervöser wird. Doch der Machtapparat hält sich zurück, es bleibt gewaltfrei. Anders als Anfang Oktober, als Polizei und Stasi nach den Friedensgebeten in der Marktkirche auf friedliche Teilnehmer einprügeln und Dutzende zum Verhör verschleppen.

"Dialog mit den Bürgern"

Das traut sich Ende Oktober 1989 in Halle - und auch anderswo - keiner mehr. Nach der ersten großen Montagsdemo auf dem Leipziger Ring, als am 9. Oktober rund 70 000 Menschen den Ruf "Wir sind das Volk" skandieren, halten sich die SED-Machthaber zurück. Sie versuchen stattdessen über einen "Dialog mit den Bürgern" wieder die Initiative zu gewinnen. Vor diesem Hintergrund kommt es auch zu dem Forum im Volkspark.

Der Andrang ist so groß, dass der vorgesehene Saal schnell voll besetzt ist. Zwischentüren werden geöffnet, es reicht dennoch nicht aus. Tausende Bürger können nur draußen im Garten per Lautsprecher die hitzige Debatte verfolgen, die drinnen im Saal des Volksparkes abläuft. Offen und freimütig wie nie zuvor konfrontieren die Bürger die Verantwortlichen mit Missständen und sie fordern Veränderungen. Die Medien, allen voran das damalige SED-Organ "Freiheit" und sein Chefredakteur Hans-Dieter Krüger, stehen besonders in der Kritik.

Zahlreiche Redner verlangen Wahrhaftigkeit in den Berichten. Statt Schönfärberei sollen die Dinge schonungslos beim Namen genannt werden. Unter anderem die Geheimniskrämerei um Umweltdaten erregt die Gemüter. Wer sich heute an die dicken, stinkenden Qualmwolken aus den Schloten des nahen Buna-Kombinates und die weißen Schaumkronen auf der Saale erinnert, der weiß warum.

Auch Rufe nach unabhängigen Zeitungen werden laut. Insbesondere die Vertreter der Bürgerbewegung verlangen nach uneingeschränkter Presse-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit. Sie hatten bereits am 15. Oktober in der Pauluskirche eine freie Bürgerversammlung abgehalten, an der rund 2 000 Menschen teilnahmen. Sie fordern Redefreiheit, Gewaltfreiheit und mahnen eine öffentliche Debatte über die notwendigen Veränderungen in der Gesellschaft an. Darunter befinden sich auch die Mitbegründer des "Neuen Forum" in Halle. Dessen Zulassung haben die staatlichen Stellen gerade verweigert. Insofern bleiben die meisten Bürgerrechtler skeptisch, ob die sogenannte Wende wirklich mehr Demokratie mit sich bringt.

Erst recht, als der Chefideologe der SED-Bezirkszentrale, der als "Hardliner" bekannt ist, einräumen muss, dass seine Partei nicht die Wahrheit gepachtet habe. Ein Postulat, das bis dahin als unumstößlich galt. Nicht nur bei seinem Auftritt schlagen die Wogen hoch. Auch als ein Staatsanwalt auf Anfrage "bestätigt", dass die Volkskammerwahlen vom 7. Mai 1989 korrekt gewesen seien, macht sich Unmut im Saale breit. Damals haben die Bürgerrechtler noch nicht die Beweise dafür, dass diese Wahl gefälscht war, wie heute feststeht.

Die Macht der SED schwindet

Nach mehr als drei Stunden teilweise hitziger Diskussion wird das Forum beendet, obwohl sich immer wieder Hände nach oben recken. Der Abend im Volkspark zeigte, dass den Menschen die Angst genommen wurde. Es herrscht Aufbruchstimmung. In der Woche darauf stehen Zehntausende auf dem Markt, um Reformen einzufordern. Auch in anderen Städten wie Dessau, Bernburg, Weißenfels und Sangerhausen kommt es zu Protest-Kundgebungen. Überall schwindet die Macht der SED. Keiner ahnt freilich, dass nur wenige Tage später, am 9. November 1989, die Mauer fällt und damit ein neues Zeitalter eingeläutet wird.