9. Oktober 1989 in Halle 9. Oktober 1989 in Halle: Gewalt und Festnahmen im Stadtzentrum

Halle (Saale) - Die Szenerie auf dem halleschen Marktplatz war an jenem Montagnachmittag, heute vor genau 25 Jahren, beängstigend. Während am 9. Oktober 1989 die Staatsmacht vor den 70 000 Demonstranten in Leipzig kapitulierte, verlief der Tag im nur wenige Kilometer entfernten Halle ganz anders. Hier hörten die Behörden noch auf Erich Honecker, der angewiesen hatte, weitere Krawalle von „vornherein zu unterbinden“.
Bereits am Nachmittag bot die Innenstadt ein martialisches Bild. Der Marktplatz und die umliegenden Straßen waren abgeriegelt, über den Platz patrouillierten mehr als 150 Polizisten mit Hunden; noch einmal so viele Kampfgruppenangehörige kamen hinzu. Und natürlich jede Menge Staatssicherheitsleute. Sogenannte „mobile Zuführungspunkte“ – Lkw zum Transport der Festgenommenen – standen bereit. Tagsüber waren bereits Oppositionelle verhaftet worden. Am Nachmittag standen vor der Marktkirche Demonstranten mit Kerzen in den Händen; die Zahl von 400 Leuten wurde später im Bericht der Staatssicherheit genannt. Gegen 17.30 entrollten sie ein Transparent: „Gewaltlos widerstehen/Schweigen für Leipzig/ Schweigen für Reformen/Schweigen fürs Hierbleiben“ war darauf zu lesen.
„Die Situation war skurril“
Das war zu viel für die Behörden. Eine Polizeikette rückte bedrohlich auf die Gruppe Demonstranten zu. Die damalige Bürgerrechtlerin Heidi Bohley erinnert sich: „Ein Polizist rief uns durch die Flüstertüte zu ,Bitte lösen Sie sich auf‘.“ Mehrere hallesche Pfarrer gingen auf die Polizisten zu und redeten beruhigend auf sie ein. „Die Situation war skurril“, sagt Heidi Bohley, „da standen die Pfarrer in ihren schwarzen Talaren diesen Polizisten gegenüber.“ Immerhin wurde erreicht, dass die Demonstranten in der Marktkirche Schutz suchen konnten.
Für all die Menschen aber, die sich zu diesem Zeitpunkt außerhalb der Kirche befanden, wurde es brenzlig. Das Schlimme sei gewesen, sagt Heidi Bohley, dass an diesem Tag Unbeteiligte zum Opfer wurden. „Mir war da sehr mulmig. Wir saßen in der Kirche und haben von draußen die Schreie gehört.“
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Polizeiketten rückten auf die Menschen zu, schlossen sie ein. Hunde bellten, die Polizisten brüllten, einige Passanten schrien. Ein junger Mann flüchtete in eine Straßenbahn, er wurde wieder hinausgeprügelt. Andere wiederum wurden in eine Bahn gestoßen. Wer sich wehrte oder auch nach dem Grund für den Übergriff fragte, wurde mit dem Gummiknüppel geschlagen. Menschen wurden auf die bereitstehenden Lkw gestoßen. Zu 37 Zuführungen, wie es im DDR-Polizeideutsch hieß, kam es an jenem Abend.
Das Schlimmste, sagten später Leute, die dabei waren, sei die Angst gewesen - davor, was noch kommen würde. Auf den Lkw herrschte Schweigen, mitunter schluchzte jemand. Die Fahrt dauerte eine Weile, es ging in die Reideburger Straße, in der damals die Transportpolizei untergebracht war. Als die Autos hielten und sich Uniformierte halbkreisförmig davor aufgestellt hatten, mussten die „Zugeführten“ von den Plattformen springen und durch ein Polizeispalier hindurchgehen. Sie mussten sich an den Wänden der großen Trapo-Garagen aufstellen.
Dann: stundenlanges Stehen, Gesicht zur Wand, Beine gespreizt. Es gab weder etwas zu trinken noch zu essen. Es durfte nicht telefoniert werden. Anfangs war nicht einmal der Gang zur Toilette erlaubt. Wer sich bewegte, wurde angeschrien oder bekam den Knüppel zwischen die Beine. Ganz Renitente wurden nach draußen in die Kälte geführt, auch von dort ertönten Schreie.
Verhör oder Belehrung
Weit nach Mitternacht schließlich ging es zum Verhör oder zur Belehrung. Die meisten Festgenommenen erfuhren in den beheizten Räumen der Trapo, in denen sich die MfS-Mitarbeiter einquartiert hatten, dass sie an einer verbotenen Demonstration teilgenommen hätten. Und dass sie beim nächsten Mal zusätzlich mit einer Geldstrafe zu rechnen hätten.
Dann durften die Frauen und Männer, junge und alte, nach Hause gehen. Einzeln gingen sie den weiten Weg in die Stadt hinein, durch die kalte Nacht, die plötzlich sehr still war.
Strafrechtlich zur Rechenschaft wurde nie jemand gezogen für die brutalen Übergriffe in jenen Oktobertagen. (mz)
