Schweres Zugunglück vor 70 Jahren Schweres Zugunglück vor 70 Jahren : 23 Menschen sterben bei Crash

Eisleben - Am 18. April vor 70 Jahren, einem neblig-trüben Donnerstag vor Ostern, ereignete sich zwischen Helfta und Eisleben eines der schwersten Eisenbahnunglücke im mitteldeutschen Raum. 23 Menschenleben waren zu beklagen, etwa 40 zum Teil schwer verletzte Personen kamen in Krankenhäusern.
Nach dem Unglück wurden sechs Eisenbahner von der sowjetischen Militärjustiz zu Freiheitsstrafen bis zu neun Jahren verurteilt. Ihre Einwände, dass sie auf Befehl vom sowjetischen Militär geltende Vorschriften verletzen mussten, fanden vor Gericht wenig Beachtung. Auch nicht eine Stellungnahme des Reichsbahnamtes Halle vom 2. August 1946, das allen Beschuldigten eine tadellose Dienstverrichtung bescheinigte. Dienstliche Klagen könnten nicht im geringsten geführt werden, hieß es in dem Schreiben, das darauf verwiews, dass einer der Angeklagten „schon einmal wegen Abwendung einer Gefahr eine außerordentliche Belohnung erhalten“ habe. Das Gericht zeigte sich unbeeindruckt und verhängte drakonische Strafen. Die Urteile blieben rechtskräftig, der Fall wurde nie wieder aufgerollt. Kein Eisenbahner wurde rehabilitiert. (ze)
Aufprall ungebremst
Der aus Richtung Halle kommende Personenzug 592 hatte kurz vor dem Bahnhof Eisleben noch einmal anhalten müssen und wartete auf das Signal zur Einfahrt, als 10.11 Uhr das Unfassbare geschah: Eine Lokomotive fuhr am Kilometer 36,9 ungebremst auf den Zug auf und schob die letzten Wagen zusammen, dass es nur so krachte. Den herbeigeeilten Bahnhofsmitarbeitern, die als erste am Unglücksort eintrafen, bot sich ein fürchterliches Bild.
Georg Just, damals 17 Jahre alt, erlebte den Unfall im ersten Waggon hinter der Lok. Er verspürte lediglich einen heftigen Ruck, bei dem alle möglichen Gepäckstücke aus den Ablagen flogen. Wie andere erschrockene Reisende schaute er aus dem Fenster, bekam aber nicht mit, was los war. Nebel verhüllte das Ende des Zuges.
Anblick nicht ertragen
Augenblicke später kam ein sowjetischer Offizier und forderte alle Reisenden auf, sofort auszusteigen und zu helfen. Und so lief auch Georg Just zum Ende des Zuges, er hörte Menschen um Hilfe schreien, hörte sie wimmern, er sah wie grässlich verstümmelte Tote und Verletzte neben den Bahnkörper abgelegt wurden und fühlte sich elend. Er habe den Anblick und das Geschrei nicht ertragen können, schrieb er Jahre später.
Die Bilder hatten sich unauslöschlich eingeprägt, er wurde sie nie wieder los: die durchbohrten menschlichen Körper, die abgetrennten Gliedmaße. Die Wände der Waggons bestanden ja zum Teil aus Sperrholz, das durch die Wucht des Aufpralls gesplittert war. Wie Speerspitzen hatte sich das Holz durch viele Reisende gebohrt - grauenhaft. „Es sah schlimmer aus als im Krieg“, so Just, der damals mit zwei gleichaltrigen Kameraden aus Schlesien geflohen war. „Wir waren noch halbe Kinder“, schreibt er. Angesichts des völlig zertrümmerten Waggons wurde ihm klar, dass er selbst um ein Haar in diesem Teil des Zuges den Aufprall erlebt hätte. Denn als er in Röblingen auf dem Bahnsteig stand, hatte eben dieser Wagen genau vor ihm und seinen Begleitern angehalten.
Auf dem Bahnsteig herrschte dichtes Gedränge. Viele wollten noch hinein in den Zug, andere drängten hinaus. „Eine nicht enden wollende Schlange verließ den Wagen“, erinnert er sich und fügt hinzu: „Während wir noch auf das Einsteigen warteten, kam ein Mann an uns vorbei und sagte beiläufig: ,Vorn hinter der Lok ist noch Platz.' Da winkte ich meinen Kollegen zu: ,Los, gehn wir nach vorn!'“
Erst Jahrzehnte später wurden die näheren Umstände, die zu dem Unglück führten, bekannt: dass an jenem Tag zwischen Röblingen und Eisleben unter sowjetischer Aufsicht mit der Demontage eines Gleises begonnen wurde, wovon der zuständige Fahrdienstleiter in Helfta erst bei Dienstbeginn erfuhr, und dass der Zug mit einer Schiebelok fuhr, besetzt mit sowjetischen Armisten, die unterwegs die Bautrupps überwachten.
Unter Kommando des Militärs
Gegen jede Vorschrift war die Lok nicht an den Zug gekoppelt, weil der zuständige Offizier Zwischenstopps verlangte, um die Demontage des Gleises zu kontrollieren. So verlor der Lokführer seinen Zug immer wieder aus den Augen, musste den Rückstand aufholen. Dass der Zug dann vor dem Bahnhof anhalten musste, ahnte er nicht. Und so nahm das Verhängnis seinen Lauf. (mz)