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Reichsbürger in der Region Reichsbürger in Dessau-Roßlau: Eine Belastung für Behörden und die Sicherheit?

Von Lisa Garn 24.01.2017, 10:36
Fantasiepässe und Fantasiereiche: Reichsbürger sind auch in Dessau-Roßlau aktiv.
Fantasiepässe und Fantasiereiche: Reichsbürger sind auch in Dessau-Roßlau aktiv. dpa

Dessau-Roßlau - Im Herbst stand ein Mann vor dem Zörbiger Rathaus und stellte sich Passanten in den Weg. Bürger vom „Freistaat Lichtland“ nannte er sich und sagte den Polizisten, dass er die Gesetze der Bundesrepublik nicht anerkennt.

Im Dezember schickte die „Religionsgemeinschaft heilsamer Weg“ ein Fax an Oberbürgermeister Peter Kuras. Darin fordert sie ihn auf, den Zweiten Weltkrieg zu beenden und das Bodenrecht neu zu ordnen.

Es sind Beispiele wie diese, bei denen sich Reichsbürger in der Region zu erkennen geben. Bisher wurden Anhänger gern als Spinner und Querulanten abgetan - doch sie wurden offenbar zu lange unterschätzt. Seit Schüsse in Sachsen-Anhalt fielen und in Bayern ein Polizist getötet wurde, hat der Verfassungsschutz die Bewegung deutschlandweit auf dem Radar. Auch in Dessau-Roßlau erfasst sie der polizeiliche Staatsschutz erstmals seit Ende 2016.

35 Reichsbürger in Dessau-Roßlau bekannt

„Im Bereich der Polizeidirektion Ost sind etwa 90 Personen bekannt, die sich als Reichsbürger erklärt haben“, sagt Sprecher Sebastian Opitz. Von einer Dunkelziffer kann ausgegangen werde.

In Dessau-Roßlau soll es nach MZ-Informationen 35 Menschen geben, die den Reichsbürgern zugeordnet werden. Der Rest verteilt sich auf die Landkreise Anhalt-Bitterfeld und Wittenberg. In der Lutherstadt betrifft die Statistik vor allem die Gruppe „Königreich Deutschland“ um Peter Fitzek, der derzeit wegen Veruntreuung vor Gericht steht. Reichsbürger leugnen die Existenz der Bundesrepublik und lehnen ihre Rechtsordnung ab.

Kenntnis von Reichsbürgern bekommt die Polizei auf verschiedenen Wegen. Vor allem über Behörden, bei denen sich Anhänger beispielsweise weigern, Strafzettel, Steuern und andere Bußgelder zu zahlen. Sie terrorisieren Ämter und Verwaltungen mit kruden Schreiben, absurden Theorien, Forderungen und Strafandrohungen. „In einer Reihe dieser Fälle sind Ordnungswidrigkeiten oder strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet worden“, sagt Opitz. Aber auch bei Auftritten im Internet und in sozialen Netzwerken geben sie sich zu erkennen.

Die Reichsbürger erkennen den Deutschen Staat nicht an

Gemeinsam ist allen Anhängern, dass sie die Hierarchie umkehren wollen: Nicht der Staat oder seine Behörden setzen den Rahmen, sondern sie selbst. Die gängigste Behauptung ist, dass „das Deutsche Reich bis heute fortbesteht, aber von Alliierten besetzt und von ihnen ausgebeutet“ werde, erklärt Polizeisprecher Opitz.

Konsequent würden dabei historische Fakten, Staatsgrenzen, gültiges Recht und Verträge ignoriert. Meist akzeptieren Reichsbürger lediglich Behördenschreiben nicht. Andere aber bieten gleich ganz eigene Staatskonzepte an, gründen ein alternatives Reich oder gar ein Königreich.

Reichsbürger stellen abstruse Anträge und Forderungen an die Ämter

In Dessau-Roßlau kursieren beispielsweise Namen wie „Germanitien“, „Herzogtum/Freistaat Anhalt“ oder „Staat Preußen“. In Stadtverwaltungen gehen Anträge auf „Reich-Staatsbürgerschaft“ ein oder es werden Schreiben verschickt, in denen sich die Unterzeichner „Arbeitsminister“ oder „Botschafter“ nennen. Es tauchen darin auch Verweise wie „Proklamation als natürliche Person“ oder „Die BRD ist lediglich eine Firma (GmbH)“ auf.

„Das Problem mit Reichsbürgern ist in Dessau-Roßlau bekannt. Vor allem im Bürgeramt haben die Mitarbeiter mit ihnen zu tun“, sagt Dessau-Roßlaus Stadtsprecher Carsten Sauer. 2016 gab es sieben Fälle: Sechsmal wurden Ausweise abgegeben, einmal gab es eine Geldforderung an die Stadt mit der so genannten „Malta-Masche“.

Dabei versuchen Reichsbürger mit Hilfe eines maltesischen Inkassounternehmens, von Richtern, Polizisten und anderen Beamten horrende Summen einzutreiben. „Es gibt insgesamt eine leicht steigende Tendenz an Fällen, aber wir reagieren im Rahmen des Möglichen auf die abstrusen Argumente“, so Sauer. Dabei helfe auch Informationsmaterial des Landesverwaltungsamtes.

Reichsbürger gelten zunehmend als gewaltbereit

Nicht nur Verschwörungstheoretiker und Esoteriker gehören zur Reichsbürger-Bewegung, sondern auch „rechtsextremistische, rassistische und antisemitische Ideologien“, sagt Opitz. In Sachsen-Anhalt stuft das Landesamt für Verfassungsschutz etwa ein Viertel aller bekannten Anhänger als Rechtsextreme ein. Deutschlandweit soll es mindestens 4.500 Reichsbürger geben.

Als zunehmend gewaltbereit und radikalisiert wird die Bewegung spätestens seit zwei Vorfällen im vergangenen Jahr eingeschätzt. Im August gab es eine Schießerei zwischen dem Reichsbürger Adrian Ursache und der Polizei im Burgenlandkreis. Die traurige Bilanz des eskalierten Streits: Zwei Beamte und Ursache selbst wurden verletzt. Im Oktober wurde in Bayern ein 32-jähriger Polizist niedergeschossen. Seitdem werden Reichsbürger bundesweit vom Verfassungsschutz beobachtet.

Den Reichssbürgern kann nicht nur aus Gesinnungsgründen der Waffenbesitz verboten werden

Im Bereich der Polizeidirektion sind bisher keine gewalttätigen Übergriffe bekannt. Eine Statistik über die Anzahl legaler scharfer Waffen in den Händen von Reichsbürgern gibt es nicht.

Zuständig für Waffenscheine ist die Waffenbehörde, in Dessau-Roßlau also das Ordnungsamt. Um die Zuverlässigkeit zu beurteilen, holt sie auch Erkenntnisse der Polizei ein, die auch mitteilt, wenn der Antragsteller zur Reichsbürgerbewegung gehört.

Neu ist offenbar eine größere Sensibilität: Sobald sich Waffenscheinbesitzer als Reichsbürger zu erkennen geben, so Polizeisprecher Opitz, rege die Polizei eine Überprüfung der Zuverlässigkeit an. Im vergangenen Jahr waren laut Polizei sieben Personen überprüft worden. Doch es ist ein schwieriges Feld: Aus Gesinnungsgründen oder wegen eines Bekenntnisses als Reichsbürger allein können Waffenerlaubnisschein- und besitz nicht verboten werden. (mz)

Adrian Ursache im August: Keine 24 Stunden später wird geschossen.
Adrian Ursache im August: Keine 24 Stunden später wird geschossen.
Archiv/Stedtler