Postamt Coswig Postamt Coswig: Stempel-Sammlung aus Jahrhunderten
Coswig/MZ/grz. - Samstagmittag. Kurz vor Toresschluss. Zur Schließung des Postamtes in Coswig war Horst Schneider etwas wehmütig in die Schloßstraße gekommen.
Den letzten Poststempel wollte er für seine Sammlung holen. Seit Jahrzehnten beschäftigt er sich mit der Postgeschichte. Angeregt wurde er dazu in der Schule von Lehrer Curt Werner, dem Sohn von Oberprediger Ernst Werner, dem Coswiger Stadt-Chronisten.
Philatelisten haben bestimmte Spezialgebiete für ihre Sammelleidenschaft. Da gibt es Ländersammlungen oder Motive. Horst Schneider interessierte sich aber auch für die Entwicklung der Coswiger Post. Deshalb überreichte er an Renate Fuchs, die zum letzten Mal den Schalterdienst versehen hatte, einen Blumenstrauß mit netten Dankesworten für die gewissenhafte Tätigkeit. Schneider als "letzter Kunde" kurz vor 11 Uhr erwähnte dann die feierliche Eröffnung des Amtes vor 111 Jahren am 1. Dezember 1890, als das Kaiserliche Postamt in das Gebäude einzog.
Ein Telegramm des Staatsministers Dr. von Stephan, der das deutsche Postwesen organisiert hatte, wünscht dem Postmeister Lüdemann in Coswig und seinen Beamten "dass in den neuen Räumen der alte gute Geist walten möge".
Zur Sammlung von Horst Schneider gehören unschätzbare Raritäten. Da ist zum Beispiel ein Brief vom 20. Juli 1923 mit einem Porto von 300 Mark. Bereits am 9. Oktober 1923 kostete das Porto für eine Postkarte 850 000 Mark.
Schneiders Poststempel-Sammlung gibt Auskunft über Veränderungen. Coswig gehörte ab 1860 zur Preußischen Staatspost, war von 1868 bis 1871 Norddeutscher Postbezirk. Briefmarken hatten anfangs noch den Wert "1 Groschen", ab 1888 "10 Pfennig".
Das Coswiger Postamt gab Sonder- oder Werbestempel aus. So 1952 für das Keramik-Werkmuseum oder zum Volksbegehren 1948 mit dem Aufruf "Zeichne dich ein". Die 750-Jahrfeier 1937 und die 800-Jahrfeier 1987 waren ebenfalls Anlass für einen Sonderstempel.
Zu den Raritäten gehören auch Kontrollstempel für den Briefmarkentausch DDR-BRD, Stempel der Dorfpoststellen "... über Coswig", Bahnpoststempel, 1906 gab es einen Ankunftsstempel. Am 1. März 1959 eröffnete im VEB Chemiewerk ein Zwei-Postamt Coswig (Anhalt)-West mit eigenem Stempel.
Die Postleitzahl für Coswig war bis 1954 "19b". Bis zur Einführung der neuen Postleitzahlen ab 1. Juli 1993 fehlte häufig der Zusatz Anhalt. Horst Schneider holte sich am 30. Juni 1993 einen Poststempel mit dem Aufdruck "Coswig 4522" und dann am 1. Juli 1993 den neuen Stempel "Coswig (Anh.) 06869".
Schneider hat auch Fotos vom ersten Postauto in Coswig, das 1955 die Landpostzustellung per Fahrrad ablöste oder vom Paketpostpferdewagen mit Gottlieb Graßhoff, "Blaselieb", der bis 1956 fuhr.
Nun wurde das Coswiger Postamt geschlossen. Es geht in der Kaufhalle weiter, und Horst Schneider wird sicher heute um 10 Uhr dort sein, um sich einen der ersten Stempel zu sichern.