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Künstler und andere Idioten

Von Thomas Altmann 28.03.2005, 15:18

Dessau/MZ. - Eigentlich stand auf dem Programm des Tanzfestes am Anhaltischen Theater Gregor Seyfferts nun schon legendäres, 1990 im Berliner Hebbel-Theater uraufgeführtes Solo, das sich dem Leidensweg des gefallenen Genies in der Choreografie von Dietmar Seyffert zur Musik von Strawinskys "Le Sacre du Printemps" annähert. Eine Verletzung des Kammertänzers machte diese Passion am Ostersonntag unmöglich. Statt dessen gab es Kino im Theater. Gezeigt wurde die Koproduktion von ORB und WDR aus dem Jahr 2002: "Clown Gottes - verloren im Wahnsinn". Das ist keine Aufzeichnung des Bühnenstücks, sondern ein eigenes Werk, gedreht im Sanatorium Beelitz-Heilstätten. Programmpunkt Nr. 2 blieb erhalten, eine Podiumsdiskussion zum Thema "Kunst und Wahnsinn".

Um den Gästen dennoch ein originäres Tanzerlebnis zu bieten, öffnete sich erst einmal der Vorhang für Schüler der Staatlichen Ballettschule Berlin. Eigentlich sollten die Berliner Eleven erst am Montag tanzen, um mit dem 2. Akt aus dem Ballett "Giselle" und dem zeitgenössischen Stück "Troy Game" Tradition und Gegenwart getreu der Maxime der Schule zu verklammern. "Troy Game" in der Choreografie von Robert North gab es nun schon mal vorab. Getrieben von brasilianischer Batucada-Musik tanzten acht junge Männer zwischen klassischer Schrittfolge und moderner Bewegungsfantasie, zwischen Konkurrenz und Kumpanei, bald augenzwinkernd kämpferisch, bald ursprünglich meditativ, athletisch und elegant.

Nach der Pause läuft Seyffert auf der Leinwand in den Wahnsinn. Im Film folgt die Musik von Jerome Soudan der Choreografie. Hier gibt es den Blick auf irrsinnig malerische Details. Kann man Wahnsinn tanzen? "Was mich stark berührt hat, ist die Einsamkeit", sagt Psychologin Cornelia Hasper danach in der Diskussionsrunde. Dann greift sie sich ein Detail heraus, die zerbrochene Scheibe, die der Tänzer vergebens versucht zusammenzusetzen. Dem Kranken sei unmöglich, eine Handlung zu Ende zu bringen. Es blieben nur Brüche. Das Fenster verweise zudem nach außen. Der Tänzer hängt seinen Mantel davor.

"Jeder, der sich der Kunst verschreibt, hat ein Stück Wahnsinn in sich", sagt Hasper. Ein Künstler, der diesen Tanz durchstehe, habe eine innere Verpflichtung. Der Unterschied zur Psychose bestehe darin, dass der Künstler in der Lage sei, auszusteigen. Wie schwer es ihm falle, "danach wieder herunter zu kommen", deutet Seyffert an. Manchmal habe er auch Probleme, "es bis zum Ende zu treiben". Besonders hinderlich seien Momente der Reflexion. Genau diese Distanz stehe Menschen, "die von innen überflutet werden" (Hasper), nicht zur Verfügung.

Mögen sich Wahnsinn und Genie begegnen, um unentwegt zu gebären. Der Kranke kennt diese Freiheit kaum. Der Clown Gottes dreht sich im leeren Raum um sich selbst. Am Ende kauert er in einer Ecke. Das Licht scheint jetzt warm und vertraut. Dann schlägt der Kopf zurück und die Augen sind offen. Hasper: "Diese Menschen sind unsere Schattenfiguren".