1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Dessau-Roßlau
  6. >
  7. Jugend und Parlament: Jugend und Parlament: »Mini-Debatten» fast wie bei den «Alten»

Jugend und Parlament Jugend und Parlament: »Mini-Debatten» fast wie bei den «Alten»

Von Heidi Thiemann 08.11.2001, 16:48

Berlin/Coswig/MZ. - Aufregend und spannend. Landläufig werden die Attribute keinesfalls der Politik zugeordnet. Doch Hannes Bienert macht es, denn er ist beeindruckt vom Deutschen Bundestag und der Arbeit der Politiker. Der 14-Jährige war der jüngste Teilnehmer von "Jugend und Parlament 2001".

Ein bisschen, denkt der Coswiger, war die Berlin-Reise ein Missverständnis. Der Vorsitzende des Fördervereins der Körperbehindertenschule Dessau, die Hannes besucht, hatte die bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Steffi Lemke gefragt, ob nicht auch mal ein behinderter Jugendlicher an der Parlaments-Aktion teilnehmen könnte. Zur Zeugnisübergabe im Sommer wurde Hannes Bienert mit der Nachricht überrascht - als Auszeichnung für sein sehr gutes Zeugnis (Durchschnitt 1,08) der siebenten Klasse. "Alle hatten gedacht, dass ich mir mal den Bundestag ansehen darf", erzählt der aufgeschlossene Junge im Rollstuhl. Doch dass drei mit Arbeit angefüllte Tage auf ihn warteten, hätte wohl niemand geahnt.

Missverständnis hin oder her. Bereut, die parlamentarische Arbeit kennengelernt zu haben, hat Hannes nicht. In Begleitung seiner Eltern - "wir waren seine Hände und Füße", wie Mutter Kerstin Bienert beschreibt - hat er das Reichstagsgebäude erkundet. Saß bei der Eröffnungsveranstaltung auf Wolfgang Schäubles Rollstuhlfahrer-Platz; war zu Gast in den einzelnen Fraktionen, erlebte Mini-Debatten und eine "total zwanglose" Atmosphäre. Aber nicht nur zugehört hat der 14-Jährige, sondern sich auch eingemischt - und er scheint noch heute beim Erzählen von seinem Mut überrascht. Als bei den Grünen über Terrorismus und Afghanistan debattiert wurde, musste der Coswiger seine Meinung loswerden: "Man kann nicht alles zubomben, weil es auch Menschen trifft, die nichts dafür können." Eingebracht hatte sich der Coswiger auch in seinem Arbeitskreis "Umweltsch(m)utz kennt keine Grenzen".

Insgesamt 16 Themen in 16 Arbeitskreisen wurden besprochen, diskutiert, Petitionen dazu verfasst. Die Ergebnisse schließlich auf einer Plenartagung am Abschlusstag präsentiert. "Wir haben gestaunt über die Bildung der Jugendlichen, über deren differenziertes und fundiertes Wissen", erzählt Kerstin Bienert. Und festgestellt hat sie auch, dass ein Großteil der jungen Männer und Frauen bereits politisch aktiv sind. Auffällig zudem: Bei den Abstimmungen war das Verhalten "fast so wie bei den Alten", und die "Blöcke waren mitunter schon verhärtet".

Beeindruckt ist Hannes noch heute von der Abschlussdebatte, die alle vier Bundestagsvizepräsidenten leiteten, und den Abstimmungen, darunter zwei so genannte Hammelsprünge. "Wären das richtige Abstimmungen gewesen, hätten wir jetzt den Atomausstieg. Und statt Wehrdienst würde es jetzt ein Berufsheer geben", erzählt der 14-Jährige von zwei Entscheidungen. Auch beim Thema Drogen haben die Jugendlichen ihre eigene Meinung: Der Besitz von Cannabis würde nicht mehr kriminalisiert.

Als der Arbeitskreis Gen- und Biotechnologie seine Ergebnisse darstellte, äußerte dessen Sprecherin ihre persönliche Meinung, die Hannes nicht gefallen hat. Sie meinte, "mit behinderten Kindern kann man nicht glücklich werden. Und in dem Moment schiebt mich Papa mit dem Rollstuhl durch den Saal", erzählt der körperbehinderte Junge. Doch die Meinung bekam nur Kontra, ist auch Hannes Mutter Kerstin froh. "Das hat mich sehr aufgebaut. Die Masse ist nicht gegen Genforschung, sondern gegen solche Selektion", sagte sie.

Im nächsten Jahr - aufgrund der Bundestagswahl - gibt es kein "Jugendparlament". Doch bekommt Hannes irgendwann noch einmal eine Einladung, würde er nicht "nein" sagen. Ob er mal Politiker werden möchte? Ausschließen will er es nicht. Aber eines weiß er: "Ein Bundestagsabgeordneter hat einen stressigen Job".