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Hochwasser in Kleinkühnau und Aken Hochwasser in Kleinkühnau und Aken: Ein vergessener Deich

Von Thomas Steinberg und Matthias Bartl 11.06.2013, 07:31
Mit schwerer Technik und riesigen Steinen wird versucht, die Lücke im Deich nahe „Mutter Sturm“ zu schließen.
Mit schwerer Technik und riesigen Steinen wird versucht, die Lücke im Deich nahe „Mutter Sturm“ zu schließen. FotoS: HERTEL Lizenz

Kleinkühnau/AKEN/MZ - Von Dessauer Seite kommend, versperrt an der letzten Kurve vor der langen Gerade nach Aken eine Sandsackbarriere die L 63. Der Wall verläuft rechtwinklig, spannt sich vom erneuerten Deich linker Hand über vielleicht 150 Meter in den Wald hinein, wo er auf einen Uraltdeich stößt. Um ihn zu erkennen, muss man wenigstens ortskundig sein oder noch besser Roland Hermann. Diesen Deich hatten die Preußen gebaut, erklärt Kühnaus Wasserwehrleiter. Die Anhalter haben ihn nicht verlängert.

An der alten Grenze zwischen Preußen und Anhalt geht auch am heute manches nicht zusammen. Zwei Bundeswehroffiziere, die vor Ort die Lage begutachten wollen, halten eine Karte des Gebiets in den Händen. „Das Problem ist“, sagt einer, „das die und die nicht miteinander sprechen.“ Sein Finger tippt einmal auf die Dessauer, das andere Mal auf die Akener.

Um 10.45 Uhr steht am Dienstag ein Hubschrauber über dem Gelände. „Die glauben“, sagt Siegfried Mehl und blickt kopfschüttelnd nach oben, „die glauben immer noch nicht, dass der Damm zu ist.“ Die - das sind die Dessauer. Mit denen hat Mehl seit Samstagmorgen über Kreuz gelegen und tut das auch am Dienstagvormittag noch. Am Samstagmorgen war der alte, unbekannte Deich im Wald überflutet worden. Am Dienstagvormittag hat Mehl mit Hunderten Feuerwehrleuten nach buchstäblich 76 Stunden ohne erholsamen Schlaf und ohne entspannende Pause einen neuen Deich mitten im Wald gebaut hatte. Ein Meisterwerk an Einsatzbereitschaft und Logistik und Sachverstand. 9.17 Uhr hatte man den neuen Deich dicht. Zu spät: In der Technischen Einsatzleitung im Rathaus Aken ist man sicher, die Rettung wäre schneller vonstatten gegangen, wenn Dessau gleich am Sonnabendmorgen mit den Akenern zusammengearbeitet hätte.

Die Akener waren am Sonnabend kurz vor 5 Uhr mit einem Einsatzkommando in das schwer zugängliche Waldstück nördlich der Überflutungsstelle vorgedrungen und hatten die Bruchstelle gesucht - und gefunden. Unter Verlust eines Bundeswehr-Lkw, der später doch noch rausgebracht werden konnte. In Kauf nehmend, dass die sechs Mann, die als erste an der Bruchstelle standen, fast eingeschlossen wurden. Mehl kämpfte sich auch zu „Mutter Sturm“ vor, fand dort Dessauer, die „an der tiefsten Stelle“ einen Notdeich errichtet hatten und nicht auf Mehls Forderungen eingingen, sich die Bruchkante selbst anzusehen - als Beweis dafür, dass ein Eingreifen sowohl von Aken als auch von Dessau aus notwendig sei.

Die Kooperation kam nicht zustande. Was die Akener Entschlusskraft nicht minderte, einen Weg gegen das Elbewasser zu suchen, das mit atemberaubendem Tempo durch den Wald schoss und schon früh begann, Susigke zu fluten. „Wir haben uns entschlossen, einen Hakendeich zu bauen“, erklärte Siegfried Mehl. Ziel war es, die Geschwindigkeit des Wassers an der Durchflussstelle zu verringern, um den Lückenschluss angehen zu können. Es ist ein Unterfangen, das die Dessauer Seite nicht für zielführend hielt. „Wir haben immer gesagt, dass vor allem die Überflutungsstelle geschlossen werden muss“, erklärte Martin Müller, Einsatzleiter im Dessau-Roßlauer Katastrophenstab. Dort wurde man unruhig, als der Akener Wall in Richtung Dessau wuchs - und irgendwann dazu führte, dass das Wasser begann, in Richtung Kühnau zu fließen. „Da haben wir angerufen und gebeten aufzuhören. Da bekamen wir gesagt, das interessiert uns nicht.“ Es ist nicht die einzige kommunikative Störung zwischen beiden Seiten. Die Vorhaltungen sind zahlreich.

Dessau-Roßlau wurde aktiv, startete einen Erkundungsflug und begann irgendwann einen Hubschrauber mit Big Bags loszuschicken, um diese in die Bruchstelle zu werfen. „Auf unsere Kosten. In einem anderen Landkreis“, betont Müller. Die Akener begannen, eine Baustraße in den Wald zu schneiden. Das Ganze in rasendem Tempo nach dem Motto: „Je kürzer der Weg zur Bruchstelle umso besser.“

Um 3.30 Uhr am Dienstagmorgen stand Siegfried Mehl zum x-ten Mal an der Bruchstelle mitten im Wald - diesmal aber durfte man zum ersten Mal Hoffnung schöpfen. Denn ungezählte Feuerwehrleute brachten Schotter an die Bruchstelle und verfüllten die Bruchstelle, in der die Big Bags lagen. Per Hand. „Die haben nicht geglaubt, dass wir das schaffen“, sagt Mehl mit Blick nach Dessau. Dort will man sich nicht auf einen öffentlichen Schlagabtausch einlassen. „Wir hatten schon am Sonnabend für die Variante plädiert, die jetzt zum Erfolg geführt hat“, sagt Müller. Es sei unfair und falsch, Dessau-Roßlau dafür verantwortlich zu machen, dass Aken und Susigke geflutet wurden. Der überspülte Deich liege auf dem Gebiet des Landkreises Anhalt-Bitterfeld.

Die Bruchstelle befindet sich auffällig nahe dem Ort, an dem am Mittwoch voriger Woche vier Männer aus Aken die Lage an einer Geländekante im Wald begutachteten. Der Pegel in Aken lag an diesem Vormittag bei etwa 6,50 Meter, mindestens ein Meter mehr war angesagt. An der Geländekante mochte der Freibord bei 1,50 oder weniger gelegen haben, so genau war das wegen des starken Bewuchses mit Büschen und Gras nicht auszumachen. Die Inspektoren fühlten sich alles andere als wohl bei diesem Anblick; einer meinte, die Stelle habe man schon 2002 vergessen.

Am Donnerstag, dem 6. Juni, vermeldet um 7.59 Uhr eine Pressemitteilung aus dem Akener Rathaus noch, es seien alle Vorbereitungen für ein gefahrloses Passieren der Hochwasserwelle getroffen, freiwillige Helfer würden nicht benötigt. Ähnliches verlautet am 7. und 8. Juni. Erst am Sonnabend wird zum ersten Mal „Mutter Sturm“ erwähnt – da läuft das Wasser bereits, bedroht direkt Aken und mehrere Dörfer.

„Das ist ein sehr alter Deich“, sagt Siegfried Mehl. Den habe man in Aken nicht auf dem Plan gehabt, über den sei auch in den Unterlagen des Landesbetriebes für Hochwasserschutz nichts zu finden. Das Gelände sei im Laufe von Jahrzehnten völlig zugewachsen. „Wir hatten Tage zuvor versucht, das Terrain in Richtung Dessau zu sondieren“, so Mehl. Diese Kontrollgänge wurden eingestellt, als die Botschaft kam, die Elbe werde nicht höher als 7,55 Meter steigen. „Wir haben von diesem Deich nichts mitbekommen.“

Bei „Mutter Sturm“ ist die Lücke geschlossen.
Bei „Mutter Sturm“ ist die Lücke geschlossen.
Sebastian Lizenz