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Hochwasser in Aken Hochwasser in Aken: Ein Mann mit kühlem Kopf

Von Sabine NINDELT 02.07.2013, 19:57
Michael Bertling.
Michael Bertling. Sebastian Lizenz

DESSAU/MZ - Ein Beispiel dafür war die diesjährige Flutkatastrophe, während der Michael Bertling innerhalb von zwei Wochen fast 2000 Kilometer zurückgelegt hatte, um vor Ort zu helfen. Zum einen sah er immer wieder nach seinen Kollegen, die meist zu zweit auch in der Nacht an Dämmen, Schöpfwerken und anderen Brennpunkten Wache halten mussten. Zum anderen widmete sich der Polizeiseelsorger auch den Betroffenen. Nach einem Dammbruch und einem drohenden weiteren mussten in Aken etwa 8000 Menschen ihre Häuser verlassen. In manchen Fällen geschah das natürlich nicht ganz freiwillig. Oft war da Überzeugungsarbeit gefragt. Und diese leistete auch Michael Bertling.

In manchen Fällen, wie dem einer älteren Dame, die meinte, dass es doch so schlimm nicht werden würde, konnten klare Fakten schnell einen Sinneswandel bewirken. Andere waren da durchaus hartnäckiger. So drohte ein älterer Herr mit dem Freitod, würde er gezwungen, sein Heim zu verlassen. Den Strick hatte er schon bereit gelegt.

Argumente helfen

Immer wieder besuchte der Seelsorger den Akener, um ihn zu beruhigen und dazu zu bewegen, sich in eine Notunterkunft bringen zu lassen – scheinbar ohne Erfolg. Bei einem Besuch in einer der Sporthallen, die zur Notunterkunft umfunktioniert worden waren, entdeckte Michael Bertling dann jedoch jenen Mann. Seine Bemühungen und Überzeugungsversuche hatten schließlich doch noch gefruchtet.

Doch nicht immer ist es dem Polizeipfarrer möglich, Situationen so zu beeinflussen, dass diese zu einem guten Ende kommen. So wurde Bertling während der Flutkatastrophe auch mitten in der Nacht zu einem Einsatz mit einem Toten gerufen. Ein bekannter Akener Unternehmer hatte beim Versuch, im Wasser stehend eine Pumpe in Betrieb zu nehmen einen tödlichen Stromschlag erlitten. Noch während der Notarzt den Verunglückten untersuchte, kümmerte sich der Seelsorger um die Familie. Michael Bertling widmete sich bei seinem Eintreffen sofort den Einsatzkräften der Feuerwehr, die in diesem Moment einfach nur abwarten konnten. „Die Situation war von Fassungslosigkeit gezeichnet“, schildert Bertling. Nahezu jeder von ihnen hätte den Mann gekannt. In solchen Momenten, wie auch bei schweren Unfällen, wie dem Unfall auf der A9 mit 4 Toten vor etwa einer Woche, sei es wichtig, dass jemand da sei, dem die Einsatzkräfte in einem Moment des Leerlaufs ihre eigenen Eindrücke ungefiltert schildern können. „Das nimmt den ersten Druck, der sich da aufbaut“, erklärt der Theologe.

Bertling erklärt den Einsatzkräften in solchen Momenten, dass es durch die enorme Belastung unter Umständen zu körperlichen Reaktionen wie Schweißausbrüchen, Zittern oder Herzrasen kommen kann. Nicht immer sei es möglich, sofort die benötigte Auszeit zu nehmen. Als umso wichtiger empfindet es der Seelsorger, dass betroffene Beamte gerade dann wissen, dass besagte körperliche Reaktionen nicht nur möglich, sondern auch normal sind. Nur so könne trotz der genannten Einschränkungen eine Einsatz- und Reaktionsfähigkeit erhalten bleiben, so Bertling.

Trotz der vielfältigen Probleme und schwierigen Situationen, mit denen Bertling immer wieder konfrontiert wird, liebt der Theologe seine Arbeit innig. Unterstützen und helfen zu können, scheint für ihn mehr Berufung als Beruf. „Ich habe bislang keine Veranlassung gesehen, den Schritt in diese Arbeit zu bereuen.“

Begleiten und vermitteln

„Ich möchte für die Menschen da sein, die mit der Anomalität des Alltags zurechtkommen wollen“, beschreibt Michael Bertling seine Motivation. Er begleitet, redet, hört zu, vermittelt oder verweist im Notfall an Spezialisten wie Psychologen. Auch bei Einsätzen, auf Streife oder zu Demonstrationen fährt der Seelsorger regelmäßig mit. Hier kümmert er sich vor allem um die Beamten vor Ort, versucht in schwierigen Situationen zu beruhigen, zu vermitteln. Denn es kommt auch immer wieder vor, dass die Beamten im Dienst verbal beleidigt oder sogar angegriffen werden.

In solchen Momenten die Ruhe zu bewahren, wenn Polizisten lauthals als Faschisten oder Mörder betitelt, angespuckt oder beworfen werden, ist nicht leicht für die Ordnungshüter. Michael Bertling versucht in solchen Fällen einzugreifen. Und sei es mit einer Tüte Gummibärchen.

Was sich etwas befremdlich anhört, hat einen ganz einfachen Hintergrund. Denn was können Süßigkeiten in einer solchen Situation schon bewirken? „Ich nutze so den Moment des Verblüffens“, erklärt der Polizeiseelsorger mit einem verschmitzten Lächeln. Denn in diesem Moment sei der Beamte erst einmal völlig perplex und werde so aus seiner Wutspirale gerissen. Laut Bertling kam es sogar schon vor, dass auch der pöbelnde Demonstrant plötzlich ganz höflich um ein Gummibärchen gebeten hat.