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Ewigkeiten in Hummelstube

Von Thomas Altmann 14.05.2007, 16:49

Streetz/MZ. - Hier wurde über den Bau des achten Weltwunders nachgedacht, eine Pyramide ohne Königskammer. Millionen Totenkuben - Betonquader inklusive Urne - sollen endlich die Gleichheit der Verschiedenen mumifizieren. Da erblasst die Cheops-Pyramide. Und das Windrad auf dem Streetzer Berg wird zur Pusteblume.

Es sind die Superlative, die uns Kleingeister zum großen Spott reizen. Aber die Internetseite des Vereins "Freunde der Großen Pyramide" langt auch mächtig zu. Die Große Grafik-Pyramide misst vermessene 578, die Cheops-Pyramide schlappe 147 Meter. Da ist die Rede vom größten Bau der Welt und von Millionen Besuchern jährlich. Hinterbliebenen-Tourismus, Event-Gedenken? Ein Kapitel im Netz heißt "Rettung für die deutsche Wirtschaft". Im Jenseits?

In der Hummelstube rudern sie zurück, die vier Pyramiden-Pioniere, deren Verein seinen Sitz in Erfurt hat. Schriftsteller Ingo Niermann erzählt von der Idee, eine "Idee ins Land zu tragen", die Gleichheit in Ewigkeit sozusagen, interkulturell, interreligiös, intersoundso. Später erfährt man, dass Angehörige der Religionen, die ihre Entschlafenen nicht einäschern, auch einen Gedenkstein erwerben könnten.

Schriftsteller Ingo Kracht zieht am kulturgeschichtlichen Bogen. Heiko Holzberger, Bauingenieur und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bauhaus-Universität Weimar, spricht erst einmal vom Beton, der gefärbt werden soll. Er präsentiert einen Grundlagenkurs für Vollidioten, steckt Lego-Steinchen zusammen, die großen Steine für die kleinen Kinder.

Charismatisch ist, so ist das heute, der Wirtschaftswissenschaftler Jens Thiel. Er ist begeistert von der Dynamik zu Beginn. Das Wachstum einer Pyramide hat seine nachvollziehbare Logik. Jetzt spricht er, man sollte es ausrechnen, lediglich von einem Bruchteilchen der Grafik, von 40 bis 50 Metern Höhe und vielleicht mehreren Pyramiden. Die Flughäfen, die Autobahn, das Bauhaus, das Gartenreich sprächen für den Standort. Fürst Fanzens Neuer Gottesacker wird ins Feld geführt. Da wären schon mal alle Toten gleich gewesen. Beinahe, denn der Adel war gleicher. Und die Region profitiere nachhaltig.

Es brummt in der Hummelstube: "Wir reißen Eintrittskarten ab und machen die Toiletten sauber für 1,25". Man wolle diesen Rummel nicht, wolle nicht ständig auf den Tod schauen. Und überhaupt, man läge da ja irgendwo mittendrin. Ja und Nein. Die Pyramide sei, so Thiel, begehbar via Internet. Second Death? Second Life gibt's ja schon. Aber dann kommt's: "Wir wollen hier keine Chinesen". "Ich will nicht unter einem Russen liegen". Alles im Kasten? Studenten der Filmhochschule München filmen die, ja was denn, Performance? Es sei nicht in Ordnung, heißt es, wie hier mit den Gefühlen der Menschen gespielt werde. Sind die Dörfler die Darsteller? Liefert die bunte Pyramide die Karikatur des blassen Kleinbürgers zur Freude blasierter Intellektueller? Thiel widerspricht energisch: "Wir wollen Sie hier nicht verarschen." Auch die Regisseurin tut ihr konstruktives Wollen kund.

Unter den Hörern sitzt Uta Schnell von der Kulturstiftung des Bundes. Die Stiftung fördert ein Programm "Arbeit in Zukunft". Eine Jury habe unter anderem dieses Projekt auserwählt, aber, so Schnell im Anschluss, "als fake, als Simulation", als Gedankenspiel. In Roßlau weiß man, wie die industrielle Revolution die Gegend veränderte.

Den Wandel der Arbeitswelt nimmt man heute meist im Zeichen der Abrissbirne wahr. Was gehört zum positiven Gegenteil? Urnen stapeln? Thiel bekundet mehrmals, dass er die Pyramide wirklich bauen wolle - in der Region Dessau-Roßlau. Aber auch eine Pyramide aus Lego-Steinchen wächst gewöhnlich von unten nach oben.