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Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Mauseloch in allen Gräbern

Von thomas altmann 11.06.2012, 18:01

dessau/MZ. - Schwarz wie ein Frack, weiß wie eine Badekappe und rot wie der in die Urne geklatschte Mohn: Es war einmal ein von der Pest dahingeraffter Melonenhändler, der quietschend erweckt als Wiedergänger auch nur gierig blieb. Gereicht es zum Happyend, wenn die Geldgier den Blutdurst überdauert, der Mammon ewiger lebt als der Untote, als Graf Dracula, wie ihn Bram Stoker ersann?

Von Nosferatu bis zum Horrorcomic reichen die Bearbeitungen des Romans. Nun hat Astrid Griesbach "Dracula" als eine "Menschen-Schatten-Puppengeschichte frei nach Bram Stoker" im Alten Theater Dessau inszeniert. Wenig Blut, kein Knoblauch im gestopften Mund eines abgetrennten Kopfes: Die Libidodefekte der saugenden Täter und die zwiespältigen Deflorationsgelüste der Opfer üben scheinbar Zurückhaltung.

Dennoch saugt Dracula Blut und Hutter Geld, indem er in der Ferne eine Ruine verschachert. Mehr noch als dieser kritische Reflex, der durch das quasi globalisierte Betrugsgeschäft in Transsilvanien an Bedeutung gewinnt, liefert Griesbach ein wirklich fesselndes Spiel der Grenzüberschreitungen. Sie findet im Grab die Mauselöcher, welche auf das Thema der Vampirgeschichten schlechthin, auf die fließenden Grenzen zwischen Leben und Tod in mehreren Lesarten verweisen.

Untot vor dem Biss

Die Briefe Hutters an seine Braut korrespondieren mit den Ebenen des Spiels zwischen Heimat und Ferne, zwischen Geld- und Blutsaugerei, zwischen Tod und Leben, sollte es heißen. Aber wer lebt hier eigentlich? Die Hauptpuppe des Puppenspiels, die handelsübliche Maklerbraut Ellen, wurde scheinbar für die Zielgruppe der frustrierten kinderfeindlichen Großtante ersonnen. Untot längst vor dem Biss liest sie in den Briefen, deren Inhalt und Hintergründe im Hintergrund spielen, als Schattenspiel oder in projizierten Bildern, bald als köstlich konzentrierte und karikierende Zeichnungen, bald als gestisch anmutende Malerei (Ausstattung Petra Linsel; Masken und Figuren Lisette Schürer).

Wie das Totenschiff in den Hafen läuft, ein Cartoon der Bedrohung. Und das Volk in Transsilvanien! Das sind Vorurteile, sind wirklich Schemen, das ist Volk und doch sind diese Figurinen nicht unvertraut fern, eher possierlich, witzig, unterschwellig orakelnd. Vor allem sind sie komisch, diese Schattenfiguren, was viel ist. Und wenn es blutig wird, dann rauschen die Farben. Neben diesen malerischen Attitüden wird die dreigeteilte Projektionsfläche immer mal wieder für interaktive Präsentationen der Geschichte genutzt, Powerpoint auf transsilvanisch. - Das eigentümliche Quartett der Puppen- und Schauspieler (Uta Krieg, Sabine Mittelhammer, Christine Müller und Helmut Parthier) agiert als Mittler zwischen den Orten, den Aktionsradien des Absenders und des Adressaten. Wispernden Rachegöttinnen und zwiespältigen Gehilfen gleich, liefern sie uniform maskiert und herrlich verwegen auch die personifizierten Gedanken zwischen den Zeilen der Briefe. Leibhaftige Sorge trifft auf leibhaftigen Selbstbetrug. Es wird schon und bleibt clownesk, auch wenn die Mittler ins Bild greifen, um die Handlung zu forcieren.

Unvermittelte Gesellschaftskritik

Die freie Erzählung nach Stoker, die Wechsel der Ebenen hinterlassen nie das Gefühl, Griesbach springe vom Text zur Illustration oder überspringe übersprungene Seiten. Nur der Bus klingt ein wenig offen nach Kasperbude. Dafür erscheint es so gewagt wie auch erstaunlich gelungen, Gesellschaftskritik unvermittelt auf der ästhetischen Ebene, auf der gemeinhin Quietschenten schwimmen, aufzupfrofen. So stirbt die Plastikfamilie des Melonenhändlers grell infiziert, indem sie pars pro toto für die Pestopfer vom Podest fallen. Sie werden auf(er)stehen und sein wie der Makler, der fortan nur noch nächtens agiert. Die Alternative: Mit den Maklern saugen oder mit den Wölfen heulen. Aber wenigstens eines der Kreuze sollte ein wenig schräg stehen. Oder alle?