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Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Erntejagden mit tragischen Folgen

Von HEIDI THIEMANN 11.08.2009, 18:48
Ein Jäger mit seinem Hund. (FOTO: DPA)
Ein Jäger mit seinem Hund. (FOTO: DPA) dpa-Zentralbild

DESSAU-ROSSLAU/MZ. - "Es ist das Grauen eines jeden Jägers, dass jemand verletzt wird", sagt der 73-Jährige.

Am 17. Juli verlor ein 23-jähriger junger Roßlauer Jäger sein Leben, am 26. Juli wurde ein Mähdrescherfahrer durch einen Schuss eines Jägers verletzt. Beide tragischen Unfälle ereigneten sich bei so genannten Erntejagden in der Bernsdorfer Heide bzw. zwischen Mosigkauer Heide und Kochstedter Wolfsgartenstraße. In beiden Fällen sind die polizeilichen Ermittlungen noch nicht abgeschlossen, erklärte Ralf Moritz, Sprecher der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost gegenüber der MZ. Die Geschehensabläufe im Todesfall sollen gutachterlich untersucht werden. Im Falle des Mähdrescherfahrers, der nach ambulanter Behandlung das Klinikum wieder verlassen konnte, wird wegen fahrlässiger Körperverletzung ermittelt.

Schaden soll vermieden werden

Erntejagden, erklärt Kreisjägermeister Pfister, "sind Mittel zum Zweck". Eine Pflicht sind sie nicht, aber ein günstiger Zeitpunkt, die Schwarzkittel, für die die Getreide-, Raps- oder Maisfelder in und um Dessau-Roßlau ein gefundenes Fressen sind, zur Strecke zu bringen. Denn entstehen durch Wild Schäden an den landwirtschaftlichen Flächen, "dann kommen die Jäger dafür auf. Deshalb sind sie interessiert, diese so gering wie möglich zu halten", erklärt Anke Lange aus dem Dessau-Roßlauer Ordnungsamt, warum die Jäger zur Erntezeit so aktiv sind. Sie selbst kennt nur allzugut den Druck, der auch auf der städtischen Behörde liegt, den Schwarzwildbestand zu dezimieren. Nicht nur Landwirte kommen zu Schaden, auch immer wieder werden aus Vororten Belästigungen durch die Tiere gemeldet, weil sie dort in den Gärten stehen und wühlen.

"Die Sau, die man bei der Ernte schießt, kann im nächsten Jahr keinen Schaden machen", sagt Pfister pragmatisch. Dass dabei etwa wild herumgeschossen werde, verneinen Lange und Pfister aber ebenso wie Marlies Lindner, die Leiterin des städtischen Ordnungsamtes. "Es gibt Vorschriften, an die sich die Jäger zu halten haben." Und auf die Jagd dürfe nur gehen, wer die Jagdprüfung bestanden und seine Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt hat, sagt Lindner.

Und doch ist die Erntejagd nicht ungefährlich. Immer wieder ereignen sich teils sehr tragische Unfälle. "Speziell bei der Erntejagd ergeben sich Gefahren durch die ebenerdige Aufstellung der Schützen, den fehlenden Kugelfang sowie die fehlende Festlegung oder Nichtbeachtung des vorgegebenen Schussbereiches", sagt Jürgen Tennert vom Technischen Aufsichtsdienst der für Mittel- und Ostdeutschland zuständigen Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft (LBG MOD).

Insgesamt ereigneten sich nach Angaben der Berufsgenossenschaft zwischen 2004 und 2008 rund 50 bis 60 Unfälle pro Jahr in Sachsen-Anhalt. Ein bis fünf der Jagdunfälle endeten tödlich - beim Umgang mit Waffen bzw. bei der Nutzung von Hochsitzen. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen - die Berufsgenossenschaft registriert nur die bei ihr versicherten Personen, z. B. die Jagdpächter. Jagdgäste und Begehungsscheininhaber sind nicht bei der LBG MOD gesetzlich versichert.

Vorreiter Mecklenburg-Vorpommern

Schwerwiegende Unfälle bei der Jagd werden auch immer wieder aus Mecklenburg-Vorpommern gemeldet. Nach einem Todesfall im September vergangenen Jahres hatte Landwirtschaftsminister Till Backhaus umgehend die Erntejagd ohne Ansitzeinrichtung verboten. Vorerst noch als Empfehlung ausgesprochen, hat das Verbot seit dem 1. Februar 2009 in Mecklenburg-Vorpommern Gesetzeskraft.

Auch in Sachsen-Anhalt ist jetzt vorgesehen, das Landesjagdgesetz zu novellieren. Katharina Steinhardt aus der Pressestelle des Landesverwaltungsamtes erklärte auf MZ-Nachfrage: "Da die Gesetzesänderung in diesem Jahr noch nicht wirksam werden kann, wird mit einer Verfügung vorerst eine Richtung vorgegeben." Diese Verfügung wurde am 28. Juli - zwei Tage nachdem der Mähdrescherfahrer bei der Jagd zu Schaden kam - vom Referat Forst- und Jagdhoheit an alle Jagdbehörden herausgegeben. Die Revierinhaber sollen aufgefordert werden, "diese Jagden nur noch von erhöhten jagdlichen Einrichtungen (Leiter, Ansitzbock, Kanzel) auszuüben, die während der unmittelbaren Jagd örtlich nicht zu verändern und nicht zu verlassen sind". Des weiteren wird auf die Sicherheitsbestimmungen entsprechend den Unfallverhütungsvorschriften der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften verwiesen, die "konsequent zu beachten" sind.

"Wir haben umgehend alle Pächter angeschrieben", sagt Anke Lange aus dem Ordnungsamt und "auch noch einmal hingewiesen, dass vor der Durchführung der Erntearbeiten unbedingt Absprachen zwischen den Jägern und Landwirten erfolgen müssen. Dass ein Jagdleiter benannt werden muss und die Jagdteilnehmer diesem unbedingt Folge leisten müssen".

Mangelnde Absprachen sind laut Angaben der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft immer wieder ein Grund, warum es zu Unfällen bei der Erntejagd kommt. Auch das Nichteinhalten der Vorschriften kann fatal enden: etwa das zu frühe Verlassen des Standortes oder der Umgang mit geladener Waffe außerhalb der eigentlichen Jagdausübung, beispielsweise beim Transport im Auto. "Unfälle im Zusammenhang mit Waffen ereignen sich hauptsächlich durch Schussabgabe, ohne dass ein natürlicher Kugelfang gegeben ist", sagt Jürgen Tennert. Auch durch Abpraller könnten andere Personen getroffen werden, das müsse der Jäger beachten.

Damit solche Unfälle vermieden werden, sind die Mitarbeiter des Technischen Aufsichtsdienstes regelmäßig bei Jagdunternehmen, beraten zur Unfallverhütung bei der Jagd. Dazu gehört auch die Überprüfung des Zustandes der Hochsitze.

Broschüren und Merkblätter

Tennert verweist auf die Unfallverhütungsvorschrift der Berufsgenossenschaft, auf von ihr herausgegebene Broschüren, auf ein spezielles Merkblatt speziell zur Erntejagd, "in dem auf Unfallursachen und Fehlverhalten hingewiesen wird". Auch vor Ort informieren die Mitarbeiter über die Unfallverhütung bei der Jagdausübung. Im vergangenen Jahr war dies auf fünf Veranstaltungen mit 221 Teilnehmern in Sachsen-Anhalt der Fall.