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100. Geburtstag 100. Geburtstag: «Sie kannten mich überall»

28.12.2001, 20:10

Roßlau/MZ/her. - Die Haare frisch gelockt, lehnt sich Maria Künzl zurück und erzählt von einem Jubiläum, das ihr "eigentlich gar nichts" bedeutet: "100 Jahre, ach ja."

Seit gestern ist sie Roßlaus älteste Einwohnerin. "Wir hatten schon mal noch ältere, aber die sind nicht mehr", weiß sie. "Man hat doch nichts davon, wenn man die Älteste ist." Werner Künzl, geboren 1934, kennt den Humor der Mutter. Und nichts vermag den freiwilligen Feuerwehrmann zu verdutzen. Als die zierliche Jubilarin kühn verkündet, gar ein paar hundert Jahre alt werdenzu wollen, lachen beide. "Ja, ja, mir geht es gut."

meckert und lieber selber einen backt. Strikt hält er sich an die Anweisung der Ärzte, die ihm geraten hatten, der Mutter keine ihrer täglichen Aufgaben wegzunehmen. "So lange es geht", meint sie, "so lange mache ich das alles schon."

Seit Jahrzehnten in Roßlau lebend, hat Maria Künzl nie darüber nachgedacht, ob es ihr im Österreichischen womöglich besser ergangen wäre. Jetzt sinniert sie darüber: "Vielleicht hätte ich ja zurückgehen sollen." Einen Grund, das weiß sie wohl, den habe es nicht gegeben. Die Mutter war lungenkrank und früh gestorben. Die damals Zehnjährige durfte nicht beim Vater und den Brüdern im Haus in der Stadt bleiben. Sie wurde aufs Dorf geschickt. Weiterndorf hatte sechs Häuser, mehr nicht. Hier arbeitete und wohnte sie bei einem Bauern ohne Frau und Kind. Dessen Mutter - "sie war gut zu mir, fast wie eine Mutter" - versorgte den Haushalt, Maria schuftete auf dem Feld: "Den Knecht hatten sie eingezogen. Ich habe alles machen müssen." Schwer gearbeitet habe sie schon immer, aber geschadet habe es nicht, glaubt sie. "Ich war immer viel an der frischen Luft, deshalb bin ich auch nie krank."

Die Brüder, vier waren es, zu besuchen, kam nicht in Frage. Drei Stunden, mindestens, hätte sie laufen müssen. "Und dann waren ja alle wo anders." Ein "richtiges Zuhause" hatte sie nach dem Tod der Mutter nicht mehr. Vielleicht ist sie ja deswegen 1928 mit der Freundin eines Tages in den Zug gestiegen, der Fremdarbeiter nach Deutschland bringen sollte. In Wurzen fand sie Arbeit - wieder bei einem Bauern -, und hier lernte sie ihren Mann, Melker von Beruf, kennen. Dass der drohte, sich vor einen Zug zu werfen, kehre sie nach Österreich zurück, hat sie nicht vergessen. Die Schwägerin lebte seinerzeit in Roßlau, was die frisch Vermählten hierher verschlug, wo beide später im Hydrierwerk Rodleben arbeiteten, bis er im Krieg fiel.

Erinnerungslücken schleichen sich ein. "Ich wollte schon mal alles aufschreiben", ärgert sich die nunmehr älteste Roßlauerin, es nun doch nicht getan zu haben. Sohn Werner schmunzelt nur.