Zukunft ungewiss Zukunft ungewiss: XXL-Gemälde aus Bitterfeld entpuppt sich als echte Rarität

Bitterfeld/Tornau - Ist das Kunst oder kann das weg? Das fragt sich Rolf Weigel, als er im Teutloff-Bildungszentrum in Bitterfeld plötzlich vor einem riesigen Wandbild steht. Das hängt dort seit vielen Jahren, doch in der Öffentlichkeit ist es vergessen. Durch die Insolvenz des Bildungszentrums wirft das Werk nun viele Fragen auf: Woher kommt es? Wer schuf es? Und was soll daraus werden?
Weigel kommt von der Firma HT Hanseatische Industrie-Consult und soll die Vermögenswerte des Bildungszentrums inventarisieren. Doch was er dann am Ende des Treppenaufgangs sieht, erstaunt ihn: ein sechs mal ein Meter großes, buntes, kraftvolles Wandbild, das metallisch schimmert. „So etwas hatte ich nicht erwartet.“
Von wem stammt das XXL-Bild?
Das XXL-Bild im Teutloff-Domizil macht Probleme. „Wir sind ja mehr im Industrie- als im Kunstbereich unterwegs.“ Für ihn stellen sich gleich mehrere Fragen: Von wem ist das Werk? Wie bemisst sich sein Wert? Kann man es entfernen, ohne es zu beschädigen? Und gehört es überhaupt Teutloff?
Geschäftsführer Matthias Kramer kann da nur schwer weiterhelfen. Als er Teutloff-Chef wurde, war das Bild längst an der Wand. Weigel wendet sich an die MZ - und erzählt von einem Hinweis, den er entdeckt hat: eine Signatur. „Ich denke, das Bild ist schon älter und ein Original. Offenbar hieß der Maler Köppe.“
Weigel tippt nach einer Internetrecherche auf den Aschersleber Künstler Herbert Köppe. Ein Irrtum. MZ-Forschungen offenbaren: Das Bild stammt vom Heidemaler Wolfgang Köppe. Und es ist wahrlich eine Rarität, denn es wurde mit besonderen Farben und in ungewöhnlicher Technik geschaffen. Das bestätigen nicht nur Galerist Ralf Becker von der Galerie am Ratswall, sondern auch der inzwischen 90-jährige Maler und seine Frau, die in Tornau vor der Heide leben.
Das Gemälde entstand im Auftrag eines NVA-Kommandeurs
Das Bild ist eines der größten Fraktale, das Köppe je schuf. Fraktale? Mit den „Bitterfelder Fraktalen“ hatte Köppe Anfang der 80er Jahre eine neue Kunstrichtung kreiert. „Sein Freund Walter Koch erfand im Chemiekombinat beim Experimentieren die Farbe Cekarol“, erzählt Monika Köppe.
Damit habe ihr Mann dann aus getrennten Farbdosen das Gemälde quasi gegossen. So entstanden besondere, mathematisch-dominierte Formen. Mit dieser Technik ein Bild so zu gestalten, wie es dem Künstler vorschwebt, erfordert viel Übung. Doch die Fraktale sind nicht nur abstrakt. Auch Figuren sind erkennbar. Ein Bild heißt beispielsweise „Zeus“. Die getrocknete Oberfläche dieser Werke ist extrem widerstandsfähig. „Sogar säurefest“, sagt Köppes Frau.
Das Bild bei Teutloff malte Köppe im Auftrag des Kommandeurs des NVA-Bataillons im Chemiekombinat, das hier sein Domizil hatte. „Es heißt ,Inferno 1’ und war eine Leihgabe“, erzählt er.
Angesichts der uniformierten Bewohner des Hauses ein symbolträchtiger Titel. In den farbintensiven, aufgewühlten Mustern kann man durchaus eine Darstellung der zerstörerischen und tödlichen Folgen des Krieges sehen - und das Werk angesichts der Atomkriegsgefahr in den 80er Jahren als Mahnung und Warnung.
Der Wert des Bildes wurde in den 90ern auf 10.000 D-Mark festgelegt
Als das Gebäude nach der Wende an Teutloff ging, wurde vom CKB-Nachfolger, der Chemie AG, mit Teutloff auch ein Leihvertrag über das „Tafelbild“ von Köppe geschlossen. Datiert vom 3. Februar 1992. „Der Wert des Bildes wurde darin auf 10.000 D-Mark festgelegt“, sagt Frau Köppe.
24 Jahre später steht nun die Frage: Was passiert mit dem Bild? Der Maler erhebt darauf keine Ansprüche, hat nur einen Wunsch: Dass „Inferno 1“ erhalten bleibt. Denn es ist eines der eindrucksvollsten Exemplare dieser als „Bitterfelder Fraktale“ bekannt gewordenen Kunsttechnik. Und solche Bilder können nicht mehr hergestellt werden. Denn die Cekarol-Farben gibt es bis auf ein paar Restbestände bei Köppe nicht mehr.
Würde ein Abtransport das Gemälde zerstören?
Im Bitterfelder Metalllabor wird auf Initiative des Chemieparkchefs Patrice Heine gegenwärtig ein Großteil der Arbeiten von Wolfgang Köppe aufbereitet, digitalisiert und registriert. Darunter sind laut dem Maler auch einige Fraktale.
Das XXL-Bild wäre dort gut aufgehoben - theoretisch. Doch praktisch scheint das unmöglich. Köppe bezweifelt, dass man das Bild abmontieren kann, ohne es zu beschädigen. Denn der Untergrund sei aus Glasseide. Und das aus fünf Teilen bestehende Bild habe man damals komplett in der Wand verankert, wahrscheinlich geklebt.
„Das kriegt man nur mit Hammer und Meißel ab“, befürchtet der Maler. Der einzige Ausweg ist offenbar, dass ein möglicher neuer Besitzer auch das Riesenwerk übernimmt und erhält. Doch all das ist noch pure Zukunftsmusik. (mz)