Wollreste werden zu Geschenken
WOLFEN/MZ. - Jetzt liegen sie zur Abholung bereit. Am Sonnabend nämlich wird sich ein großer Wunsch der Rentnerin erfüllen. Kinder aus Familien, denen es finanziell nicht so gut geht, werden sich einen Pullover aussuchen und mit nach Hause nehmen dürfen. Denn das war der Hauptgrund dafür, dass Ruth Springer zu den Stricknadeln gegriffen hat.
"Früher habe ich viele Handarbeiten gemacht", erzählt die 85-Jährige. Doch mit dem Alter kamen auch die Krankheiten. Heute ist die Frau schwerbehindert. Sie wurde an den Augen operiert, ihre Hände sind durch das Rheuma kaputt und nicht mehr so einsatzfähig, wie sie es gerne hätte, und sie kann sehr schwer laufen.
Ein Zufall war es, der sie zu dem alten Hobby zurück führte. Vor einigen Jahren lernte sie in einer Pension eine Frau kennen, die auch Kinderpullover strickte - aus Wollresten. "Und die hat sie dann nach Finnland an bedürftige Kinder geschickt."
Wollreste habe ich auch genug, dachte Ruth Springer. Also könnte sie doch damit ebenfalls noch etwas Gutes tun. Und als sie die ersten Wollknäuel zur Hand genommen hatte und das erste Kleidungsstück entstand, da merkte sie, dass das auch ihren Händen gut tat. "Das Stricken zwingt meine steifen Finger einfach, in Bewegung zu bleiben." Und so strickte Ruth Springer in ihrer gemütlichen Neubauwohnung in Wolfen-Nord Kinderpullover - langsam zwar, aber einen nach dem anderen. Und machte sich auch schon Gedanken, wohin sie die guten Stücke verschenken könnte. "Das war aber gar nicht so einfach", sagt sie. Zwar dachte sie auch an Spenden für Kinder in fernen Ländern, "doch eigentlich gibt es doch auch bei uns genügend Menschen, die sich darüber freuen würden".
Also wandte sich die Frau an das Lesertelefon der MZ. Und es hat geklappt. Bei ihrer Heimatzeitung wusste man von einer Weihnachtsfeier, die die Zscherndorfer Allgemeinmedizinerin Dr. Petra Bergholz für hilfebedürftige Familien organisiert. Ein Anruf genügte, und es war beschlossene Sache.
Am Sonnabend also werden die Pullover endlich ihre Besitzer finden - ebenso wie die Dinge, die dafür im Zscherndorfer Kindergarten "Max und Moritz" gesammelt und an die Ärztin übergeben wurden. Und Petra Bergholz freut sich darüber, wieder einen neuen Partner für ihre Aktion gefunden zu haben. Eine Aktion, für die sie viel Kraft, aber vor allem Herzblut aufbringt.
Ruth Springer wiederum ist froh, auf diese Art helfen zu können. "Es ist schon traurig genug, dass es immer noch arme Menschen gibt, die ihren Kindern viele Wünsche abschlagen müssen", sagt sie. Sie weiß, wovon sie spricht, hat erfahren müssen, was Not und Elend ist, hat im Zweiten Weltkrieg ihre beiden Brüder verloren.
Wenn Ruth Springer aber ins Erzählen kommt, dann überwiegt die Freude, helfen zu können. Sie erzählt begeistert vom Campingurlaub am Königssee und von ihrer Arbeit in der Farbenfabrik. Und von den vielen kreativen Handarbeiten, die sie und ihr Mann angefertigt haben. Viele Erlebnisse, die einfach zu schade sind, um irgendwann vergessen zu sein, hat sie schon aufgeschrieben - akribisch geordnet nach Themen und Lebensabschnitten und formuliert in Geschichten, die einfach fesseln. Die zum Nachdenken anregen und oft auch zum Schmunzeln bringen.