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Verwaiste Eltern trauern gemeinsam

Von Antonie Städter 29.05.2006, 16:37

Bitterfeld/MZ. - Die Narben reißen immer wieder auf. Zu Ostern, Weihnachten, Geburtstagen ist es besonders schlimm. Dann kommen die ohnmächtigen Gedanken hoch, das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren - eine unbändige Traurigkeit und Verzweiflung. Und die Frage, auf die es keine Antwort gibt: Warum? Für Eltern, die ein Kind verloren haben, gibt es nichts Leidvolleres. "Der Lebenspfeiler fehlt", sagt Ines Hecht, deren ältere Tochter im Jahr 2003 bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückte - mit 21.

Seit Februar 2004 besucht Ines Hecht die Treffen der Selbsthilfegruppe "Verwaiste Eltern" im Landkreis Bitterfeld. Dort kommen Betroffene zusammen, reden, schweigen, weinen, spenden einander Trost. "In dieser Gemeinschaft fühle ich mich geborgen, beschützt und verstanden", sagt Ines Hecht.

Sie schlägt die beiden Gründerinnen der Gruppe, Christa Hermann und Christina Jäckel, für den Bürgerpreis "Helfer mit Herz" vor, der in diesem Jahr zum ersten Mal von der Kreissparkasse Bitterfeld und der Mitteldeutschen Zeitung verliehen wird. "Es gibt keine treffendere Bezeichnung für die ehrenamtliche Arbeit dieser beiden starken Frauen als 'Helfer mit Herz'", schreibt sie in der Begründung ihres Vorschlags.

Es waren eigene Schicksalsschläge, die die beiden Frauen im Jahr 1999 dazu veranlassten, eine Selbsthilfegruppe zu gründen. "Man sucht Menschen, die das gleiche Schicksal teilen", sagt Christa Hermann, die ihre Tochter 1994 verlor. Durch Trauerseminare und Treffen anderer Gruppen des Bundesverbands "Verwaiste Eltern" entstand der Wunsch, auch betroffenen Eltern im Landkreis Bitterfeld eine Anlaufstelle zu bieten - und gleichzeitig in Kontakt zu treten mit Menschen, denen es ähnlich geht. Zu der Selbsthilfegruppe, die sich einmal im Monat im Kulturhaus Wolfen trifft, kann jeder kommen, der ein Kind verloren hat. "Manchmal kommen Betroffene nur zum Zuhören", so Gründerin Christa Hermann.

Es brauche eine ganze Zeit, bis man überhaupt fähig ist, über das Geschehene zu sprechen, sagt Christina Jäckel, deren Sohn bei einem Verkehrsunfall starb: "Ich fühlte mich wie amputiert. Ein Stuhl blieb immer leer." In den ersten Monaten befinde man sich wie in einem Schockzustand. Der Tod eines Kindes erscheint inakzeptabel. Wenn ein Kind stirbt, zerstöre dies nicht nur Hoffnungen und Träume für die Zukunft. Die Betroffenen bezweifeln auch oft, dass das Leben jemals wieder einen Sinn bekommen wird.

Am Anfang kämen oft beide Elternteile zu den Treffen, nach einiger Zeit meist nur noch die Frauen. Derzeit besteht die Gruppe beinahe ausschließlich aus Frauen - nur ein Mann ist dabei. Über den Grund sind sich die Teilnehmer einig: "Männer trauern anders" - stiller, in sich gekehrt. Daraus entstünden in der Partnerschaft häufig Probleme, berichten viele der Teilnehmerinnen bei den Treffen. Oft könne man über den Verlust nicht miteinander reden.

Mit Außenstehenden sei das noch schwieriger. Manche legen jedes Wort auf die Goldwaage, sagt Ines Hecht, anderen fehle das nötige Feingefühl. Der Tod ist ein Tabu. Aus Angst und Unsicherheit - wie mit den Trauernden umgehen? - brechen Familienmitglieder und Freunde manchmal gar den Kontakt ab, berichten die Mitglieder der Selbsthilfegruppe, die vom Landkreis Bitterfeld unterstützt wird. Viele der Betroffenen fühlen sich folglich unverstanden von ihrer Umwelt.

"Die Gespräche und Aktivitäten in der Gruppe bauen auf", sagt Christina Jäckel, "hier können wir auch schon mal wieder lachen." Die Mitglieder der Gruppe treffen sich nicht nur miteinander zum Reden und Zuhören - gemeinsam unternehmen sie auch Ausflüge, gehen ins Theater oder machen Sport. "Das tut gut", findet auch Christa Hermann.

Das nächste Treffen der Selbsthilfegruppe "Verwaiste Eltern" findet am Dienstag, dem 13. Juni, 17 Uhr, im Städtischen Kulturhaus Wolfen, im Konferenzraum in der 1. Etage statt.