Europa im Schlafwagen

Von Corinna Nitz 28.02.2005, 16:03

Wittenberg/MZ. - Erfunden hat diese Geschichte (Titel "Nachtabteil"), die am Samstag im "Kulturtheater Chamäleon (KTC)" vor einem begeisterten Publikum in Wittenberg aufgeführt wurde, Regisseur Markus Schuliers im Auftrag des Berliner Theaters "Greenhouse" (s. Kasten). Die Vorgaben waren streng: Schuliers sollte die Auseinandersetzung mit überbrachten Klischees zwischen einem alten EU-Land und einem östlichen Neuzugang behandeln.

Dabei hat Schuliers nicht nur mit seinen Protagonisten - Silke Dubilier in der Rolle der zickigen Irin und Dietrich Seydlitz als gelassener Pole - eine ausgezeichnete Wahl getroffen. Er hat die Figuren zudem genau gezeichnet, und indem er sie einer alltäglichen Situation aussetzt, wird es dem Zuschauer leicht gemacht, mit ihnen mitzufühlen. Denn wer saß nicht schon einmal in einem Zug, der unerwartet auf offener Strecke stehen blieb und Termine über Bord warf?

Unterdessen wird im Nachtabteil heftig debattiert: über den gemeinsamen Katholizismus, die jeweiligen Trinkgewohnheiten (irischer Whiskey gegen polnischen Wodka), aber auch über das eigene Selbstverständnis in puncto nationaler und europäischer Identität. An dieser Stelle zeigt Schuliers auch die unterschiedlichen Erwartungen, die ein jeder an dieses Gebilde, das sich EU nennt, hat. Während der Pole, übrigens Zahnarzt von Beruf und damit einer der Besserverdienenden in seiner Heimat, einfach nur einem "Rendezvous imaginaire" entgegenfährt, ist die Irin in ernster Mission unterwegs: Sie will sich in Brüssel für die nach ihrem Dafürhalten längst überfällige Legalisierung der Abtreibung in ihrem Land einsetzen. Wenn sie nicht diskutieren, lesen sie einander vor und vermitteln in poetischer Sprache sich und dem Publikum Eindrücke von ihren Herkunftsländern. Unterbrochen werden die spritzigen Dialoge immer wieder von den nuschelnden Durchsagen des Zugbegleiters, der mal eine neue Lok in Aussicht stellt und dann wieder einen Oberleitungsschaden verkündet.

Als sich abzeichnet, dass die planmäßige Ankunft in Brüssel nicht eingehalten werden kann, sind sich die fremden EU-Bürger im Nachtabteil ein gutes Stück näher gekommen. Nein, keine Sorge, ein Happy End nach Hollywood-Manier gibt es nicht. Aber die Erkenntnis, dass keine Behörde der Welt die "Konfrontation" der europäischen Nachbarn bewältigen kann, sondern allein die Menschen. Und wie? Indem, wie Schuliers findet, "sie sich miteinander vertraut machen und in einen Dialog treten".