"Eine höhere Macht" "Eine höhere Macht": Ex-Betriebswirtschaftler ist Diakon der katholischen Gemeinde in Bitterfeld

Bitterfeld - Die Klingel am Pfarrhaus der katholischen Gemeinde in Bitterfeld schellt. Keine zwei Sekunden später öffnet Jürgen Wolff die Tür. Ein Mann mit einem ansteckenden Lächeln. In knielanger Hose, über die ein weites weißes Hemd fällt, FlipFlops an den Füßen, das Haar zum Zopf gebunden, die Hände sehr gepflegt, die Fältchen um die Augen deuten auf Fröhlichkeit hin. Und tatsächlich: Mit seiner unbefangenen Art wischt er die Fremdheit schnell weg.
Jürgen Wolff ist Diakon in der Pfarrei Heilige Familie. Die erstreckt sich von Gräfenhainichen bis Brehna, von Sandersdorf bis Roitzsch und vereint über 2.000 Gläubige. 2018 begann er seine pastorale Ausbildung im Bistum Magdeburg. Bitterfeld ist seine Praktikums-Pfarrei, in der er sich auf die Priesterweihe vorbereitet. Mit über 40 Jahren. „Ja“, meint er und legt die Hände auf dem Tisch zusammen, „das ist ganz genau das, was ich will.“
Ungewöhnlicher Weg vom Betriebswirt und Finanzexperten zum Diakon
Den Weg, den der Rheinländer genommen hat, ist tatsächlich nicht gewöhnlich. Der promovierte Betriebswirt und Finanzexperte, der in Frankreich sein Abitur machte und in England studierte, hat in vielen Ländern dieser Welt gearbeitet. In Amerika und Europa und lange Zeit in China. Und irgendwann, sagt er, habe ihn seine Jugend wieder eingeholt. Schon nach dem Abitur wollte er genau das tun, was er heute tut. „Ich hab’s mir nicht getraut“, verrät er.
„Im wahrsten Sinne: Fünf Minuten vor der Angst bin ich umgeschwenkt. Aber der liebe Gott kann warten.“ Und er hat gewartet. Denn als Wolff mit seiner Promotion über - kurz gesagt - die Jesuitenmission in China beschäftigt war, da habe er wieder angeklopft. Berufungserlebnis nennt Wolff es. „Das kann man nicht in Worte fassen. Das ist so intim, das will niemand erzählen“, sagt er, „aber der liebe Gott lässt einen nicht los. Und wenn er einen will, ...“ Wolff lehnt sich auf dem Stuhl zurück, seine Augen strahlen.
Er kommt aus einer katholischen Familie, aber aus einer, „die nie in der ersten Reihe saß“. Vom Umfeld her, meint er, könne man nicht darauf schließen, dass einem der Glaube zur Berufung wird. Hier wirkt Gott, ist er überzeugt. Für ihn - wie alle Gläubigen - sei da eben mehr, als das, was man greifen kann. „Nicht wissend, aber doch spürend, dass da eine höhere Macht ist“, wie er es ausdrückt. Dieses Thema ist ihm wichtig. Doch liegt das für ihn tiefer, „als dass man das in einer lauen Sommernacht wegquatscht“.
„Ich hab mich wahnsinnig schwergetan, mit der Arbeit aufzuhören“
Das Schöne am Katholizismus fasst er so zusammen: „Egal, wo wir in der Welt sind, es ist immer gleich - ob in Kapstadt oder New York oder in Bitterfeld. So kann man sich zu Hause fühlen. Jedes Großunternehmen würde sich freuen. Das schafft nicht mal McDonald’s“, meint er fröhlich.
Dennoch, die Jahre in der Finanzwelt, die oft rastlos waren, waren ihm auch eine wichtige Zeit, sie haben Lebenserfahrung gebracht und Erkenntnisse. „Ich hab mich wahnsinnig schwergetan, mit der Arbeit aufzuhören. Ich war 25 Jahre in der Company. Es war wie eine Scheidung.“ Doch als er durch die Pforte des Priesterseminars in Erfurt trat, sei jeder Zweifel weg gewesen. „Da wusste ich: Alles ist gut.“
Für die Praxis nach dem Theologiestudium stand für ihn Bitterfeld auf dem Plan. Wählen konnte er nicht. Aber das ist auch gut so, findet er. „Die Verantwortlichen wissen schon, wo sie die Leute hinstecken müssen. Das ist wie bei den Jesuiten, die dort wirkten, wo sie gebraucht wurden.“ Er in Bitterfeld. Hier assistiert er dem Priester, predigt, tut Dienst an „jenen am gesellschaftlichen Rand“, gibt Religionsunterricht. Pfingsten 2020 wird er als Priester geweiht. Die Aufgaben, weiß er, werden mehr, die Verantwortung größer - auch wenn die Anzahl der Gläubigen sinkt. „Und wenn nur drei da sind - unter ihnen ist Christus“, sagt Wolff. (mz)