Ausstellung in Wolfen Ausstellung in Wolfen: Michael Hesselbarth gibt Einblicke in längst verlassene Orte

Wolfen - Als ein Hund bellt, nimmt Michael Hesselbarth die Beine in die Hand. Blindlings bis zur nächsten Mauer - und rüber. In Halberstadt war das. „Da sind wir gerannt“, schildert der aus Wolfen stammende Hobbyfotograf. „Aber wie wir gerannt sind.“
Einen gewissen Nervenkitzel bringen seine Motive mit sich. Hesselbarth, mittlerweile in Halle wohnhaft, fängt mit der Kamera das Innenleben verfallener Bauruinen ein. Einige dieser Bilder gibt es nun in der alten Heimat zu sehen. Seit vergangener Woche hängen Aufnahmen aus der Region im ersten Stock des Wolfener Mehrgenerationenhauses. Die Ausstellung „Verlassene Orte - Relikte aus vergangenen Zeiten“ kann dort bis zum 26. Juni besichtigt werden.
Zur Eröffnung sind in der vergangenen Woche rund zwei Dutzend Besucher erschienen
Zur Eröffnung sind in der vergangenen Woche rund zwei Dutzend Besucher erschienen. „Der Reiz ist, dass man als Fußgänger vorbeigeht, aber keinen Einblick hat“, sagt Hesselbarth zu Beginn der Schau über seine Motive. Ihn interessiert aber auch der Einblick in die Arbeitswelt der Elterngeneration. Große Hallen, Stahlträger, Backstein. 25 Bilderrahmen zeigen den Betrachter im Mehrgenerationenhaus, was davon übrig geblieben ist.
In einer Bitterfelder Maschinenhalle etwa. Oder in der Villa auf der Jeßnitzer Muldeinsel. Es sind Orte, die aufgegeben wurden. So wie die Ziegelei in Muldenstein. Putz bröckelt von der Decke und den Mauern. Auf dem Boden: Steine, Schutt, Gerümpel. An der Wand lehnt eine ausgehängte Tür. Hesselbarth hat die Ruine 2011 abgelichtet. Das Bild ist eines der älteren in der Ausstellung. „Man fängt an, wo man lebt“, sagt der Hobbyfotograf.
Wer an solchen Orten fotografiert, bewegt sich teils in einer rechtlichen Grauzone
Später sind weitere Aufnahmen im ganzen Bundesland entstanden. Andere Rahmen zeigen Bilder aus Magdeburg, Quedlinburg - oder aus Halle. Dort schießen auf einem leeren Fabrikgelände bereits schmale Bäumchen mit Fahnenblättern in die Höhe. Das Bild ist eines von Hesselbarths liebsten. „Eine wunderschöne Halle. Da wachsen die ersten Pionierpflanzen“, erklärt er. „Das mag ich - wenn man sieht, wie die Natur sich alles zurückholt.“
Wer an solchen Orten fotografiert, bewegt sich teils in einer rechtlichen Grauzone. So drückt es der Hallenser aus. Wenn er ein Gebäude ins Auge gefasst hat, informiere er sich zunächst über die Besitzer, schildert Hesselbarth. Beim Eigentümer könne man dann zwecks Zutritt anfragen. „Viele drücken ein Auge zu“, sagt der Fotograf.
Hesselbarth trifft in Bauruinen auch hin und wieder sogenannte Geocacher
Manche kleineren Häuser und Schuppen gammeln allerdings schon Jahrzehnte vor sich hin - nicht immer lässt sich ein Eigentümer ermitteln. Sie sind nicht nur bei Fotografen und Jugendlichen beliebt. Hesselbarth trifft in Bauruinen auch hin und wieder sogenannte Geocacher.
Das sind Abenteurer, die sich gegenseitig Rätsel stellen und einander per Schnitzeljagd an ungewöhnliche Orte schicken. Viele der Ruinenbesucher teilen einen gemeinsamen Kodex. „Man nimmt nichts mit“, erläutert Hesselbarth. „Man lässt alles so, wie man es vorgefunden hat.“ So soll das Originalflair der Industriebrachen erhalten werden.
Sehenswerte Artefakte aus vergangenen Zeiten finden sich dort nämlich zuhauf. Der Fotograf hat es da leicht - er drückt auf den Auslöser. Einige solcher Bilder haben es auch in Hesselbarths Ausstellung geschafft. Verstaubte Flaschen etwa - „Sternburg Cola-Hit“ steht auf dem Etikett. Ein Exemplar der „Tribüne“ wiederum titelt: „Für Frieden und Sozialismus - dem revolutionären Erbe verpflichtet“.
Hesselbarth zeigt Räume, in die es sonst kaum Einblick gibt
All das kann noch bis Ende Juni im Mehrgenerationenhaus angesehen werden. Hesselbarth zeigt Räume, in die es sonst kaum Einblick gibt - Stichwort Nervenkitzel. Wirklichen Ärger hat sich der Fotograf bei seinen Streifzügen durch die Ruinen nach eigenen Angaben aber noch nicht eingehandelt. „Man kann immer mit den Leuten reden“, sagt er.
Bloß mit dem Hund in Halberstadt - da wäre das schwierig geworden. (mz)
Verfallene Industriebrachen werden in Deutschland auch oft als „Lost Places“ bezeichnet. Um sie herum hat sich eine ganze Fangemeinde aus Historikern, Abenteurern und Fotografen gebildet. Weitere Orte gibt es im Internet etwa unter broken-places.org und unterlost-place.org zu sehen.



