Prozess in Bernburg Prozess in Bernburg: Alkoholiker rastet nach Saufgelage aus

Bernburg - Er glaubte, sein Leben wieder im Griff zu haben: ein Job, eine Wohnung und - eine Familie. Aber sein Alkoholproblem bestand nach wie vor. Und er wusste, welcher Tyrann in ihm steckt: Wenn er betrunken war, mutierte er zur Personifikation der willkürlichen Gewalt. So auch am 31. Januar 2015, als die Situation wieder einmal eskalierte und der 27-jährige Bernburger mehrere Menschen verletzte. Dafür musste er sich am Mittwoch vor dem Amtsgericht Bernburg verantworten.
An besagtem Januartag vor einem Jahr traf sich der Bernburger mit einem befreundeten Nachbarn auf ein, zwei Bier in seiner Wohnung. Am Ende wurden nicht nur etliche Hopfenflaschen geleert, auch Wein und Absinth waren im Spiel - ein gefährlicher Cocktail, der aus Freunden Feinde machte. Der Gastgeber wusste nichts von der Vorgeschichte seines Nachbarn, kannte ihn erst seit einigen Monaten, ab und zu tranken sie mal ein Bier. Diesmal vertraute er ihm seine Beziehungsprobleme an. „Weichei“ war die Reaktion seines Zuhörers, der nach steigendem Alkoholpegel plötzlich zu einer leeren Bierflasche griff und sie seinem Freund gegen den Kopf knallte. Im Film zerspringt in solchen Momenten das Glas sofort, weil es aus präpariertem Zucker besteht. Im echten Leben verursacht so ein Schlag allerdings lebensgefährliche Verletzungen. Das Opfer lag blutend mit einer Platzwunde am Boden - der Mann hatte vergleichsweise Glück im Unglück. Nach wenigen Minuten der Bewusstlosigkeit, rief er die Polizei. Sein vermeintlicher Freund hatte in der Zwischenzeit die Wohnung verlassen und befand sich im Hausflur. Aufgrund des Lärms, den er verursachte, rief ein Nachbar: „Leiser!“ Nun tickte der Betrunkene völlig aus, trat mehrere Wohnungstüren ein, würgte und verletzte unbeteiligte Nachbarn. „Ich konnte kaum noch atmen“, erinnert sich eine Nachbarin.
Als die Polizei eintraf, war der Bernburger nur schwer zu bändigen. Er weigerte sich, den Beamten zu folgen, trat um sich und beleidigte die Polizisten unterhalb der Gürtellinie. „Wir mussten Hand- und Fußfesseln anlegen“, so einer der Beamten. Mittlerweile war es Mitternacht geworden. Die Polizisten bekamen Verstärkung und brachten den 27-Jährigen zur Ausnüchterung ins städtische Salus-Klinikum, der zuvor mehr als zwei Promille im Blut hatte. Ein mittelschwerer Rausch, laut Gutachten. Allerdings habe sich der Beschuldigte nicht im Vollrausch befunden, war sich seiner Taten durchaus bewusst.
Vor Gericht zeigte sich der Angeklagte am Mittwoch wenig kooperativ. Nicht selten blickte der Bernburger stur geradeaus oder zu seinen Füßen. Nahezu die gesamte Sitzung verbrachte er schweigend auf seinem Stuhl. Lediglich zu seinem jetzigen Alkoholkonsum wollte er sich äußern: „Ich trinke nur noch vier bis sechs Flaschen Bier in der Woche.“ Das überzeugte das Gericht nicht. Auch die schwere Kindheit inklusive 18 Heimaufenthalten sowie seine dissoziale Persönlichkeitsstörung hatten keine strafmildernde Auswirkung auf das Urteil. Denn der 27-Jährige tickte nicht zum ersten Mal aus, ist mehrfach einschlägig vorbestraft und suchte nur auf Verlangen des Gerichts bisher eine Suchtberatung auf. Die Staatsanwaltschaft forderte einen zwei Jahre und vier Monate langen Aufenthalt in einer Entziehungsanstalt. Die Verteidigung bezeichnete die Tat seines Mandanten hingegen als „Ausrutscher“, woraufhin ein ungläubiges Lachen der Opfer den Saal durchdrang.
Letztendlich verurteilte das Gericht den Angeklagten zu zwei Jahren und zehn Monaten nach Paragraf 64 des Strafgesetzbuches zum Aufenthalt in einer Entziehungsanstalt, jedoch mit Skepsis: „Absinth ist kein Hustenwasser“, so Richter André Stelzner. Ob der Wille zum Entzug wirklich gegeben sei, bezweifele das Gericht. Was die Auswirkungen der Taten angehe, so seien diese trotz Persönlichkeitsstörung alles andere als entschuldbar. (mz)