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Neues Buch über Bernburger Hellseher Neues Buch über Bernburger Hellseher: Per Hypnose auf Ganovenjagd

Von Torsten Adam 27.02.2015, 09:43
Buchautor und Verleger Michael Schuster (von links) im Gespräch mit seinen Zuhörern Wolfgang Damisch, Annemarie Damisch, Silvia Meyer und Lutz Meyer.
Buchautor und Verleger Michael Schuster (von links) im Gespräch mit seinen Zuhörern Wolfgang Damisch, Annemarie Damisch, Silvia Meyer und Lutz Meyer. Engelbert Pülicher Lizenz

Bernburg - Scharlatan oder Hellseher? Die Frage nach den telepathischen Fähigkeiten des Bernburger Lehrers August Christian Drost, der in den 1920er Jahren im Auftrag der Polizei auf Verbrecherjagd ging, hat Michael Schuster am Dienstagabend bei der Vorstellung seines neuen Werkes „Drost - Der Hellseher von Bernburg“ in der Thalia-Buchhandlung bewusst unbeantwortet gelassen.

Der 53-jährige Baalberger Verleger zeichnet in seinem Buch vielmehr gemeinsam mit dem 72-jährigen Nordhäuser Regionalhistoriker Paul Lauerwald, der seine Recherchen zur Kinder- und Jugendzeit des im Eichsfeld als Sohn eines Landwirts aufgewachsenen Drost beisteuerte, die Lebensgeschichte eines Mannes nach, der zu seiner Zeit als vermeintlicher Hellseher deutschlandweit für Aufsehen gesorgt hatte. Es gibt bereits mehrere Abhandlungen darüber , sagte Schuster den knapp 30 interessierten Zuhörern. „Aber ich denke, dass es uns gelungen ist, das Leben von Drost so umfassend und objektiv wie noch nie darzustellen.“

Die Geschichte von August Drost ist bereits 1925 in einem Buch von Otto Seeling, einem Anhänger des Okkultismus, unter dem Titel „Der Bernburger Hellseher-Prozeß und das Problem der Kriminaltelepathie“ literarisch aufgegriffen worden.

Im Jahr 1962 thematisierte der Ostberliner Rechtsanwalt Professor Karl Friedrich Kaul, ein überzeugter Kommunist, den Fall im Buch „Es knistert im Gebälk“. Es diente als Vorlage für den 44-minütigen Fernsehfilm „Der Fall Hellseher Drost“, der noch im gleichen Jahr innerhalb der DDR-Krimiserie „Weimarer Pitaval“ erstmals ausgestrahlt wurde. Laut Michael Schuster bemühe er sich gemeinsam mit dem Verein für Anhaltische Landeskunde darum, den noch im Deutschen Rundfunkarchiv lagernden Streifen in den nächsten Monaten im Bernburger Capitol-Kino zeigen zu können.

Am 17. Oktober 2008, auf den Tag genau 83 Jahre nach der Urteilsverkündung, halten Bernburgs Amtsgerichtsdirektor Tobias Hoffmann und Joachim Grossert vom Verein für Anhaltische Landeskunde einen Vortrag in der katholischen St.-Bonifatius-Gemeinde über die Lebensgeschichte von August Drost.

Zwei Jahre später beschäftigten sich auch die Wissenschaftliche Gesellschaft zur Förderung der Parapsychologie und das Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene mit dem damaligen Phänomen August Drost. 

Wer war dieser Mann, dem sogar der Zirkus Busch Engagements angeboten hatte und über den die UFA einen Film drehen wollte? Nach seiner Ausbildung zum Lehrer wird er in diesem Beruf zunächst in der Börde und in Dessau aktiv, wechselt im Alter von 29 Jahren 1902 an die katholische Schule in Bernburg. Als einer von vier angestellten Lehrern unterrichtet er in der bescheiden ausgestatteten Einrichtung an der Theaterstraße. Mit seiner Ehefrau Katharina und den beiden Kindern wohnt er im Haus An der Aue 4, gleich neben der Annenbrücke.

Bereits bei seiner ersten Lehrerstelle bekommt Drost Kontakt mit den Kneippschen Lehren, ein Apotheker macht ihn mit den Grundsätzen der Homöopathie vertraut. Nach seiner Versetzung nach Bernburg wird er Vorsitzender des hiesigen Naturheilvereins, setzt sich für die Förderung der Schrebergartenbewegung ein, engagiert sich für die Bekämpfung von Alkoholismus und Nikotinsucht. Nach einem mehrmonatigen Hypnosekurs führt Drost bei öffentlichen Veranstaltungen selbst hypnotische Experimente durch und entdeckt auf diesem Wege brauchbare Medien für seine Hellseh-Experimente. Aufgrund der seit dem Ersten Weltkrieg in der Bevölkerung wachsenden Begeisterung für alles Okkulte öffnen sich für den Lehrer auch die Türen zu angesehenen Bürgern. Obwohl sein Arbeitgeber, die katholische Kirche, derartige Betätigungen konsequent ablehnt, widmet sich Drost weiter dieser Passion. Wohl auch, um damit in der von massiver Inflation geprägten Zeit seine Familie ernähren zu können, wie die Buchautoren vermuten.

20 kriminaltelepathische Aktionen pro Jahr

Ein Zufall öffnet ihm 1921 schließlich den Weg zum Kriminaltelepathen: Drost gelingt es während einer Abendgesellschaft, seinem Medium angebliche Einzelheiten zum Tathergang eines Felldiebstahls zu entlocken. Für die Teilnehmer, darunter ein Polizeikommissar, kommt dies einem Wunder gleich. Obwohl der beschuldigte Buchhalter zu Unrecht verdächtigt wird, zeigen sich der Bernburger Mittelstand und Polizeibeamte begeistert. Die Nachricht von den übersinnlichen Fähigkeiten verbreitet sich in Windeseile. Pro Jahr führt Drost danach rund 20 kriminaltelepathische Aktionen durch. Ein Trittbrettfahrer, der als Scharlatan entlarvt wird und vor Gericht landet, bringt schließlich auch Drost zu Fall. Die Staatsanwaltschaft sieht sich genötigt, Ermittlungen aufzunehmen, ob es überhaupt Hellseherei gibt. Im April 1924 wird der Lehrer direkt in seiner Schule verhaftet, im Oktober 1925 beginnt der Prozess gegen ihn - und endet nach einer Woche mit einem Freispruch.

Die Gründe dafür sind im mit einigen historischen Fotos illustrierten Buch ebenso nachzulesen, wie weitere Kriminalfälle des „Hellsehers“, sein weiterer Lebensweg und die Selbstreflexion auf sein Wirken, die der Ullstein-Verlag 1926 in seinem Magazin „Uhu“ veröffentlicht hatte.

Peter Bethge, Zuhörer der Lesung, hatte den Protagonisten persönlich gekannt. „Meine Mutter und seine Tochter waren im selben Turnverein“, sagte der Bernburger. Drost habe einerseits empfunden, dass er als Lehrer nichts taugte, andererseits habe ihn seine okkultistische Tätigkeit, der er nach dem Prozess abgeschworen hatte, sehr belastet. 1954 besuchte Bethge Drost letztmalig in Wolfsburg. Dieser war nach dem Tod der Ehefrau dorthin zu seiner Tochter gezogen. Ein Jahr später starb der Mann, der ein interessantes Kapitel Bernburger Geschichte geschrieben hatte.

Bethges Bericht blieb nicht die einzige neue Erkenntnis des Leseabends. Reinhardt Weiser, Enkel des damaligen Staatsanwalts, offenbarte, noch die originale Anklageschrift zu besitzen. „Mein Großvater hätte Drost gern hinter Gitter gesehen. Anders als im Buch dargestellt, hatte er vor dem Prozess dessen Dienste nie in Anspruch genommen.“ Schuster, wie Weiser in Baalberge wohnend, machte Hoffnung, dass die Anklageschrift Eingang in eine zweite Auflage des Buches finden könnte. (mz)

Das Buch ist seit Dienstag im Buchhandel unter der ISBN-Nummer 9-783-9815452-8-9 zum Preis von 8,90 Euro erhältlich.