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Eine Havanna und das Urlaubsgefühl

Von ANNE PASSOW 21.09.2009, 16:10

BERNBURG/MZ. - Doch die rege Geschäftigkeit im vorderen Teil des Ladens ist nur ein Ausschnitt dessen, was das 98 Jahre alte Familienunternehmen wirklich ausmacht. Mitinhaber Manfred Vahl gibt im hinteren Teil einen Einblick in die Seele des traditionsreichen Tabak- und Spirituosenhandels. Er schließt den etwa zwei mal zwei Meter großen begehbaren Klimaraum auf - und sofort strömt ein würziger Duft nach Tabak heraus.

"Hier herrschen immer um die 20 Grad und 70 bis 75 Prozent Luftfeuchtigkeit. Das sind ideale Bedingungen für unsere Zigarren", sagt Vahl und führt einige Exemplare aus Kuba und Nicaragua vor. "Es kommen immer wieder Kunden, die hier ihre Zigarettensorte aus dem Urlaub kaufen wollen", erklärt der 60-Jährige.

Urlaubsgefühle wiedererwecken wollen auch Viele, die sich bei den Wein-, Sekt-, Cognac und Brandysorten aus aller Welt umsehen, die in Regalen bis an die Decke stehen. "Vor allem Whisky wird immer öfter gekauft. Inzwischen haben wir fast 150 Sorten im Angebot", sagt Vahl und führt einige Kuriositäten seines Sortiments vor: eine Mini-Destillieranlage "hier kann man sich in kleinen Mengen seinen eigenen Schnaps brauen" oder die verschiedenen Wasserpfeifen "für die Jugend", erklärt er. Dann plaudert er ein wenig über die Geschichte des Unternehmens.

Sein Großvater, Willi Vahl, gründete es im August 1911 als Tabakwareneinzelhandel in der Badergasse 1. "Damals wurden die Tabakwaren noch mit den Rollkutschern vom Bahnhof angeliefert", erzählt Manfred Vahl.

Abgesehen von der Zwangsschließung während des zweiten Weltkrieges, hielt sich das kleine Geschäft und wurde zum täglichen Anlaufpunkt für viele Bernburger. Bekannt ist den Saalestädtern vor allem Otto Vahl, der den Handel nach dem Tod seines Vaters übernahm und 1963 in die heutigen Gewerberäume am Markt 14 umzog.

1990 dann übernahmen die Söhne Manfred und Reinhard Vahl das Unternehmen. Beide hatten bis dahin als Mathematiker an der Hochschule in Strenzfeld gearbeitet. Sie bauten den kleinen Laden zu einem geräumigen Geschäft aus, und 1998 kam Manfred Vahls Sohn Thomas als nunmehr vierte Generation als Mitunternehmer hinzu.

Das Geschäft läuft gut, auch wenn sich die Wirtschaftskrise bemerkbar macht. "Wir verkaufen nun mal Genussmittel. Darauf verzichten die Menschen als erstes, wenn das Geld nicht mehr so locker sitzt", sagt Manfred Vahl. Frauenzeitschriften werden weniger gekauft und statt Zigaretten nehmen die Leute mehr Tabak zum selbst drehen mit, erzählt Vahl. "Die hochklassigen Produkte verkaufen sich aber nach wie vor gut", sagt er.

Das war auch und vor allem zu den Zeiten der Wende so. "Eine unheimlich stressige Zeit", erinnert sich Vahl, der damals gemeinsam mit seinem Bruder viel zu tun hatte, den gerade übernommenen Laden auf Westprodukte auszurichten.

"Zu DDR-Zeiten kauften die Leute hier ihren Weinbrand, ihren "Braunen". Wir hatten vor allem Süßwein aus Ungarn und Bulgarien im Angebot und so Zigarettenmarken wie Casino, Cabinet, Turf, Karo oder F6", erinnert sich Vahl. Dann plötzlich fiel die Mauer und die Leute wollten Westprodukte. "Es war unglaublich. Wir erlebten einen unheimlichen Boom. Alles, was die Leute nicht kannten ging weg", erzählt Manfred Vahl. Sexzeitschriften, westliche Zigarettenmarken und Cognacsorten sowie Feuerzeuge in Form von Autos - alles wurde gekauft.

"Das hat sich dann irgendwann wieder gelegt", berichtet Vahl. Aber auch heute noch, in etwas ruhigeren Zeiten, liegt seine wöchentliche Arbeitszeit weit über den 66 Stunden, die das Tabakwarengeschäft geöffnet hat. Es gibt eben immer viel Schreibkram zu erledigen. "Das stört mich aber nicht", sagt er.

Manfred Vahl schätzt es sehr, dass er während seiner Arbeit immer nah an seiner Familie ist. Er, sein Bruder und sein Sohn - alle wohnen sie mit ihren Familien im gleichen Haus direkt über dem Tabakgeschäft. "Schade finde ich eigentlich nur, dass wir nicht mehr gemeinsam Urlaub machen können", sagt Vahl. Einer muss eben immer da sein, edle Weine nachbestellen, Pfeifenraucher im hinteren Teil des Ladens über die verschiedenen Tabaksorten beraten oder einfach der älteren Dame vom nebenan beim Ausfüllen ihres Lottoscheins behilflich sein.